Ich mag dich, Mama, sagt Dark Vader. Wie schön, Schatz, entgegne ich. Ich mag dich auch. Soll ich dir mal einen tollen Trick verraten, Mama? Ja, sage ich gespannt, denn Dark Vaders Tricks sind legendär und rangieren irgendwo zwischen Weltrettung durch den mehrdimensionalen Gebrauch leerer Klopapierrollen und ihrer Regenwurm-Krankengymnastik-Station. Also, setzt das Mädchen an, wenn ich was sagen will und ich weiß nicht was, dann sage ich einfach immer: Ich mag dich. Und setze dann den Namen von demjenigen ein, mit dem ich gerade spreche. Genial, finde ich und mache mir eine mentale Notiz, dass, sollte mal ein Nachfolger für den Dalai Lama gesucht werden, sich meine Tochter doch mal vorstellen kann. Dass ich diesen Moment des Gemocht-werdens mal besser für schlechte Zeiten unters Kopfkissen gelegt hätte, stellt sich kurz danach raus.
Ich stehe gerade bei Woolies an der Kasse und versuche Mimimi davon zu überzeugen, dass ihr Ü-Ei nicht besser davon wird, wenn man es energisch ausdauernd gegen die kleine Brust drückt. Mitten in ihr T-Rex Gebrüll klingelt mein Telefon und als ich die Telefonnummer der Schule sehe, bin ich fast froh, dass ich Jurassic Park-Pause habe und den kleinen Velociraptor getrost fünf Minuten lang ignorieren kann. Am anderen Ende der Leitung ist Elly's Lehrer, den wir alle sehr mögen. Nachdem er mir schnell erklärt, dass es Elly gut gehe, erkundigt er sich derart ausführlich danach, wie es uns geht und wie die Kinder sich so fühlen, dass ich sofort misstrauisch werde. Gut, sage ich und warte schweigend, was jetzt so kommt. Währenddessen hat sich der Velociraptor energisch in meinem Bein verbissen. Man habe, startet er stockend, sich schulintern überlegt, ob man die jüngeren Kinder nicht besser, also zu ihrem eigenen Besten, denn man wolle ja immer nur das Beste und es sei ja wirklich keine einfache Zeit, um in die Schule zu starten und da habe man sich wie gesagt überlegt, dass es doch besser wäre, wenn, also, man sich überlegen würde, ob die jüngeren Kinder der Stufe das Schuljahr nochmal wiederholen. Bang Bang, denke ich, denn das habe ich nicht kommen sehen. Ich schlucke. Dann atme ich. Dann starre ich Mimimi an, die mittlerweile wieder fröhlich ihr klumpiges Ei ans Herz gequetscht hält. Das, quetsche ich analog in den Hörer, kann ich jetzt nicht besprechen. Und schon gar nicht entscheiden, würge ich mühsam. Ich denke an den kleinen Elly mit den großen Händen und Füßen, an Elly das stolze Schulkind, an Elly, der jeden Morgen mit seinem Schulsonnenhut neben seinen Geschwistern zur Schule hüpft. Und in mir steigt solcher Zorn auf, das ich fest davon überzeugt bin, es schlagen gleich Flammen aus meinem Rucksack.
Als Elly aus der Schule zurückkommt, entscheide ich mich für einen behutsamen Umgang mit dem Thema. Ich hatte die Schule am Telefon, presche ich los, ich dachte, wir reden über Zeug. Elly hält mir in seinen großen Händen die Lunchbox hin. Ich hab nicht alles aufgegessen, sagt er bekümmert, ruft deswegen die Schule gleich an? Ich lege die Arme um meinen kleinen Jungen und spüre sein wildes Herz galoppieren. Mein Herz, sagt er immer, wenn er traurig ist, halt mein Herz fest. Jetzt halte ich sein Herz fest und gleichzeitig gehen mir mehr Messer in der Tasche auf als Uma Thurman in Kill Bill.
Als wäre das alles nicht blöd genug, weint Beanie zwei Tage später auf dem Weg zum Fußballmatch. Ich frage mich manchmal, warum Krisen immer im Auto hochkochen, verstehe es aber gleichzeitig ziemlich genau. Man hat im Auto meine Aufmerksamkeit, aber ich schaue in die andere Richtung, was offensichtlich meinen Kindern mehr Raum für ihre Gefühl gibt. Vielleicht war es aber auch die Musik von David Bowie, keine Ahnung. Und ganz überraschend kommt das hier nicht. Seit Wochen schleicht Beanie bei den Matches über den Platz, als hätte man ihm Blei unter die Schuhe geklebt. Aus dem wild fliegenden Eisvogel ist ein Spatz geworden, der traurig seine Federn zupft und aussieht, als würde er sich gerne verstecken. Seit Wochen schaue ich ihm fest in die Augen und frage, wie es so läuft. Gut, sagt das Kind. Und schaut weg. Gut sieht doch anders aus, sage ich. Aber ich kann ihn nicht erreichen. Jetzt suche ich im Innenspiegel seinen Blick und in meinem Riesenbus ist es so, als sitze er kilometerweit entfernt. Ja, sage ich, das läuft doch nicht. Frag mich mal was, sagt Beanie. Läuft es gut oder läuft es scheiße, du willst aber nicht sagen, dass es scheiße läuft, weil es dann Realität wird, will ich wissen. Und erwarte fast, dass ihm das zu kompliziert ist. Ja, sagt er aber da, genau, so ist das. Es läuft scheiße und ich will es nicht sagen, denn dann ist es wahr. Aber was läuft denn nicht, frage ich. Ich habe Angst, Fehler zu machen, sagt Beanie. Und lieber mache ich gar nichts, als einen Fehler. Aber so funktioniert das nicht, sage ich. Das weiß ich, sagt Beanie, und trotzdem. Was wäre denn das Schlimmste, frage ich zurück, das Schlimmste, was passieren kann. Fehler sind das Schlimmste, erklärt Beanie, zieht den Haarvorhang zu und verschwindet. Ich sollte dich Houdeanie nennen, mache ich einen Witzversuch, aber das Kind lacht nicht. David Bowie singt für uns und ich frage mich, wie lang der Weg ist, bis man nicht mehr einfach anders ist. Sondern Ziggy Stardust.
Die Steine auf meiner Seele sind so schwer, als ich in meinen Zaubergarten gehe. Ich will nicht, dass Elly ein Schuljahr wiederholt, nur, weil er jünger ist, als es hier Schulkinder normalerweise sind. Ich will nicht, dass Beanie solche Sorgen hat. Muss ich mir mehr Zeit nehmen? Mehr da sein, mehr zuhören? Mehr verstehen, wissen, es besser machen? Ich gehe am Trampolin vorbei und sehe im Augenwinkel meine fünf Kinder springen, immer höher. Es sieht fast so aus, als würden sie einfach wegfliegen. Über das Schutznetz, über unser Haus, die Schule, den Fußballplatz, Bilgola, Australien. Aber als ich mich umdrehe ist da keiner. Nur ich. Und jetzt ziehe ich die Schuhe aus und klettere in das Trampolin. Wump, fange ich an zu springen. Ich denke an meine Uni, den Kurs, den Notendruck. Wump, macht das Trampolin. Und dann setzt mein Herz ein: Zosch und das Blut strömt ein (Für alle Flachpfeifen: Herzen machen nicht Bumm, denn das macht anatomisch null Sinn). Wump, die Zimmertüren müssten ersetzt werden. Wump, neulich habe ich meine Autoschlüssel verloren. Zosch. Scheiße. Wump, ich muss noch und dann sollte ich. Zosch. Durch die Blätter meines Avocadobaums scheint die Sonne. Wump, die Kinder, denke ich, sind so was Besonderes. Zosch. Auf den Ästen sitzen die Eisvögel. Zosch. Ich zerre mein Haargummi aus den Haaren und fühle, wie alles um meinen Kopf weht. Wump. Zosch. Kommt nur, denke ich, kommt alle. Zosch. Und dann ist da nichts mehr. Nur mein Herzschlag und ich. Und mehr hat auch keinen Platz.