Meine beste Freundin, ich nenne sie hier Goldmarie, und ich sprechen in regelmäßigen Abständen darüber, was wir mal werden könnten, wenn wir groß sind. Die regelmäßigen Abstände lassen sich in Wochen bemessen und der Zeitpunkt des Großwerdens ist ungefähr jetzt. Ich bin weder einfallslos, wenn es um berufliche Zukunftsperspektiven geht, noch bin ich geduldig genug, um Pläne langsam reifen zu lassen. Also sage ich zur Goldmarie: „Zur Prostitution sind wir nicht schön genug und wenn wir uns auf die Straße setzen und uns für jede gute Idee einen Euro bezahlen lassen, werden wir nicht reich und berühmt. Was meinst Du also, sollen wir tun?“.
Die Goldmarie antwortet mir nicht, wahrscheinlich, weil sie gerade Mann-Deckung am Kind betreibt und nicht ganz bei der Sache ist. Ich bin ohnehin eher in Monologstimmung und mache weiter: „Ich fände es schön, wenn wir eine Buchhandlung eröffnen. Wir könnten den alten Bauernküchenschrank von meiner Mutter übernehmen und abbeizen und Bücher in die Holzschubladen reinstellen. Und Lesungen veranstalten, bei denen alle Leute salziges Popcorn bekommen. Und einen Geschichten-Automaten bauen, der dann im Schaufenster steht und aus dem man sich Geschichten anstatt Kaugummis ziehen kann. Wir könnten ein kleines Café dabeihaben und dann sitzen da alle und kaufen tonnenweise Bücher und Gummistiefel und Tupperware mit Punkten und wir werden reich und berühmt.“
„Nee“ sagt die Goldmarie „kommt nicht in Frage. Ich mag Buchhandlungen, will aber keine haben.“ Ich bin schockiert und irgendwie peinlich berührt. Wie kann man als gebildeter, literarisch interessierter Mensch denn keine Buchhandlung mit Café haben wollen? Ich war immer der Meinung, dass alle halbwegs perspektivarmen, kulturaffinen Menschen entweder Yogalehrer, Hebamme oder zumindest Buchhandlungsbesitzer werden wollen. Zirkusdirektor ja leider nicht mehr, seitdem klar ist, dass die Tiere im Zirkus ... oh je .. usw. „Wieso denn nicht?“ sage ich ein bisschen knatschig. Aber dann komme ich ins Grübeln.
Da wären zuerst die Arbeitszeiten. Buchhandlungen haben ja bekanntlich immer dann offen, wenn es Leute gibt, die ihr Geld ausgeben wollen. Also 6 Tage die Woche. Und diese viel beklagten Massen an Novitäten wollen gelesen werden. Was einem ja schlecht jemand bezahlt, wenn es sich um den eigenen Laden handelt. Janosch würde an dieser Stelle fragen: „Und wann, Goldmarie, lesen denn die Buchhändler die ganzen Bücher? Genau, am Abend/auf dem Klo/dem freien Sonntag/im Zug/im Bus und auf langweiligen Parties“.
Und wenn ich mir überlege, dass ein Taschenbuch 9,99 Euro kostet und die Buchhandlungen das Buch für vielleicht 5 Euro einkauft und dann von ihrem Anteil Miete, Lohn und Nebenkosten bezahlen muss, dann bleibt da nicht viel übrig. Und genau wie Yogalehrerinnen und Hebammen bekommen die Buchhändler ja auch nicht immer die Sonnenseiten der Zivilisation mit. Zwar pupst niemand laut im Laden, während er das Müde Kamel turnt – aber mit absonderlichen Fragen und Wünschen wird man bestimmt andauernd konfrontiert. Und dann breiten die Leute auch immer unaufgefordert ihre Neurosen vor einem aus, besonders dann, wenn man ihnen aus beruflichen Gründen nur schlecht sagen kann, dass sie das doch besser sein lassen sollten.
Ich bin kurz davor, meinen Berufswunsch wieder fallen zu lassen. Das ist mir alles zu mühsam. Unterbezahlt, bei hoher Arbeitsleistung, mit viel kultureller Verantwortung, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Die armen Buchhändler!
Ich erwäge kurz, dass wir auch ein social start-up zur Rettung der geplagten Buchhändlerseele gründen könnten. Bis mir einfällt, dass die Buchhändler, die ich tagtäglich sehe, mir gar nicht so erschüttert begegnen. Im Gegenteil: Eine Kultur ohne Bücher ist arm dran und eine Gesellschaft ohne freie Buchhandlungen fast noch ärmer.
Die wirtschaftliche Lage der Buchhändler mag prekär sein (was eine Schande ist), ihr Stolz aber, Übermittler von Geschichten, Gedanken, Gedichten zu sein, kommt bei mir an. „Ich weiß gar nicht, was Du willst, Goldmarie! Buchhändler sind so ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft! Was wären wir ohne frei umherschwirrende Geschichten. Und Du könntest auch den ganzen Tag Deine Hausschuhe anlassen.“
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