Neulich stand ich am Supermarkt und habe darauf gewartet, meine drei Kohlrabi zu bezahlen. An der Kasse hat die Supermarktkassiererin dann nicht nur misstrauisch die grünen Knollen beäugt, sondern musste auch ihre Kollegin fragen: „Du, Frau Schulze, ist das hier der Sellerie?“.
Ich fand das verstörend. Warum? Weil ich mit Kohlrabi aufgewachsen bin und mich praktisch in meiner gesamten Gemüse-Sozialisation negiert fand, als mich die Kassiererin nicht wohlwollend angeschaut hat angesichts meines gesunden Lebensstils, sondern eben einfach keine Ahnung hatte, was das da überhaupt war.
Wenn man ehrlich ist, geht es einem doch mit Büchern im Supermarkt genauso. Jahrzehntelang habe ich tonnenschwere Bücherkisten umgezogen und den Inhalt anschliessend liebevoll ins Billy dekoriert. Mal nach Farben, mal nach Autoren, mal danach, wen man gerade so beeindrucken wollte.
Und jetzt stehen seit einigen Jahren neben den schrottigen Kinderzeitschriften mit Walkie-Talkie/pinkem Glitzertelefon als Seelenfänger eben auch Bücher. Das macht was mit mir und meiner Wahrnehmung von Büchern. Zuallererst macht es aber mal was mit meiner Wahrnehmung dieser Bücher. Die können schonmal nichts Besonderes sein, sonst würden sie ja nicht hier im Supermarkt stehen, so zwischen Gala und My Little Pony-Das Heft. Minderwertige Unterhaltung also.
Und dann die Auswirkung auf die schon ohnehin gebeutelten Buchhändler! Jetzt gräbt man denen auch noch die Kundschaft ab, die mal eben irgendeinen Schmöker mitnehmen würden, ohne sich gleich in elaborierte Marathondiskussionen über die Sprödigkeit der Natur in „H wie Habicht“ zu ergehen.
Und diese falschen Bestsellerlisten, in die man die Bücher da einkategorisiert. Denken denn die Regalbefüller, dass die Kunden so doof sind und nicht wissen, dass die Verlage dafür bezahlen, dass da irgendein Liebes-Schrott im lokalen REWE im Fach mit der Nummer 1 steht?
Überhaupt: Müssen Bücher denn zwingend in den Supermarkt?
Ja, finde ich. Vielleicht nicht müssen und zwingend – aber sollen, dürfen, können.
Je öfter uns Bücher im Alltag begegnen und je gelöster sie aus dem intellektuellen Kontext werden, desto demokratischer ist das Buch an sich. Und das brauchen Verlage, Autoren, Leser und auch Buchhandlungen. Wenn ich mir heute ein Buch beim Vorbeigehen im Supermarkt in den Korb lege, dann gehe ich vielleicht nächsten Monat in die Buchhandlung, weil ich etwas vom gleichen Autor lesen möchte. Oder eben noch einen Schmöker, der an der irischen Westküste spielt und wo die Sonne ständig scheint (Fiktion in Bestform). Und wenn nicht, dann nicht. Jedes gekaufte Buch ist ein Gewinn für die Branche und kein Verlust für irgendwen. Und wir alle als Buchliebhaber sollten endlich aufhören, Chancen als Bedrohung und Entweihung unserer Kompetenz zu sehen.
Im Gegenteil: Ich würde mich freuen, wenn es bald Supermarkt-Ausgaben geben würde. Das wären dann keine ganzen Bücher mehr, sondern ein Drittel des Textes zusammen mit einem gimmick. So wie die Urzeitkrebse bei den Geolino-Heften. Also zum Beispiel ein Drittel eines Sommerromans zusammen mit einer kleinen Tube Sonnenöl, die nach Kokos riecht. Oder eine Liebesgeschichte aus der Provence zusammen mit einer schicken Tüte „Kräuter der Provence“ und einem Jamie Oliver Kochrezept. Wenn man die Leseprobe gekauft hat und sie toll fand, bekommt man beim Buchhändler Rabatt auf das ganze Buch. Und der Buchhändler bekommt den Rabatt vom Verlag als Gutschrift. Das ist jetzt einfach gedacht, aber so müsste es eigentlich sein. Die Verlage sind so kreativ bei ihren Marketingideen und für jedes lauwarme Debüt wird die Konfettikanone abgefeuert .. aber sind wir auch kreativ genug, wenn es um die Erschliessung neuer Märkte geht? Ich glaube nicht.
Das Buch ist als Begriff – genausowenig wie der Begriff Bestsellerliste – geschützter Terminus. Und es bedarf keinen geschützten Raum. Letztendlich sind Bücher doch nichts anderes als Geschichten zwischen Deckeln und die sind überall super: im Buchladen, im Supermarkt, im Kiosk, an der Tankstelle, im Flugzeug und wenn morgen jemand endlich Buchautomaten an jedem Bahnhof aufstellt, dann rufe ich Hurra.
Klar transportiert das Buch Kultur, aber es soll letztendlich unterhalten, anregen, abholen und einen mitnehmen. Und das kann es wunderbar auch in meinem Einkaufswagen zusammen mit den Kohlrabi.