Return to site

Wait, watch & wonder

von Edda

Wait, watch & wonder, they say. It's gonna be awesome, they say. Es ist wirklich schön, wenn man den eigenen Kindern beim Leben zuschauen kann. Anderen Kindern nicht - andere Kinder sind erfahrungsgemäß immer sehr viel weniger schön, wohlriechend und talentiert als die eigene Brut. Keine Ahnung, woran das liegt.

Das Baby sitzt im Hochstuhl mit einem Nicht-Plastik-aber-doch-irgendwie-Plastik-Teller voller Essen und bohrt sich hartnäckig mit ausgefahrenem Zeigefinger einen Weg durch die verschiedenen Texturen.

Griffel aus dem Fraß, du altes Ferkel - sage ich nicht. Schnell mal mit zehntausend Feuchttüchern über den Mund, die Hände, Stirn, Haare gewischt - mache ich nicht. Wait, watch & wonder! Das Baby mantscht immer euphorischer und schmiert sich gleich mal eine Handvoll hinters Ohr für schlechte Zeiten. Es juchzt, jubelt und feuert den vollen Teller auf den Küchenboden. Gemäß Lehrbuch des Self-led-weaning ist das ein Zeichen für Entdeckerlust. Wie schön, wenn man die Flugbahn von Brokkoli verfolgen kann. Endlich passiert hier mal was! Für mich hingegen ist das ein Zeichen, den Putzeimer zu holen. Ich atme durch. Wait, watch & wonder. Wait, watch & wonder. Wait, watch & wonder. Wie schafft man es eigentlich, den Kindern beim Leben zuzuschauen, ohne in einem Meer aus zerknatschten Nudeln und pulverisierten Reiswaffeln zu versinken. Heute morgen war die Putzfrau da, heute mittag ist schon wieder die Ganztagsputzfrau im Einsatz, der man keine Nachtpauschale zahlen muss und die sich demnächst einen Industriereiniger anschaffen wird, wenn das mit Wait, Watch & Wonder so weitergeht. Ach so, die Ganztagsputzfrau bin ich, klar, oder?

Elly hat Dark Vader geschubst. Mamaaaaaaa, der ist fies. Mama, die ist blöd. Mama, mach was. Mamaaaaaaa. Maaaaaamaaa, wo bist du denn? Mama, bist du auf dem Klo fertig? Maaaaaamaaa, ich hab's jetzt aber schon ganz oft gesagt. Mama? Wieso sitzt du denn da so?
Ich schaue euch wunderbaren Wesen beim Leben zu, sage ich dem entrüsteten Kind. Das ist eine Vollzeitbeschäftigung. Häh? Beanie ist besorgt. Ich setze zu Erklärungen an: Es passieren Wunder, wenn man einfach dasitzt und euch zuschaut. Und auf diese Wunder warte ich, Kopfhörer wären dabei aber nicht schlecht. Jetzt habe ich das Interesse meines Ältesten geweckt. Ob das so sei, wie wenn man immer weiter Überraschungseier kauft, damit man den Schlumpf bekommt, der noch in der Sammlung fehlt? Genau, sage ich, nur weniger kommerziell.


Das Baby stinkt, teilt mir Dark Vader entrüstet mit. Für jemanden, der sich vor einem Jahr leidenschaftlich eine Pipi-Baby-Puppe gewünscht hat und das Ende ihres jungen Lebens in Aussicht gestellt hat, sollte dieser Wunsch nicht erfüllt werden, ist sie jetzt erstaunlich toleranzarm, was Ausscheidungen anbelangt. Ganz doll stinkt es!
Jaaaaaaaa, sage ich und überlege, die Beine in diesen unbequemen Yoga-Sitz zu zwingen. Das Baby drückt und macht dabei ein Geräusch, als würde ein Hamster zerquetscht. Wait, watch & wonder. Komm, wir spielen Bauernhof, Elly ist euphorisch. Hier riecht es so schön.

Hast du den Kindern in deiner Klasse schon erzählt, dass du wegziehst, Schatz? Ich versuche mal wieder, aus Beanie Details seines Schulalltags herauszubekommen. Das erweist sich als aussichtslos. Soll ich mal deine Lehrerin fragen, wie man das machen kann? Mampf, mampf, keine Antwort. Vielleicht hat sie da eine gute Idee? Wie geht es dir denn überhaupt damit, dass den anderen Kindern zu erzählen? Schweigen. Hallooo? Beanie? Ich muss jetzt Hausaufgaben machen, erklärt das Kind und haut ab. Wait, watch & wonder gilt ja wohl nicht für Existenzielles, für Themen, die das Seelenleben meiner Kinder maßgeblich beschäftigen. Hier bin ich gefragt, die Mama, die Expertin. Ich hänge mir mein Superman-Cape um und suche das Gespräch mit der Lehrerin. Wir konferieren hin und her, über die Gefühle des Kindes, über Möglichkeiten, Unterstützungen, ich kündige an, die diversen Ideen mit Beanie zu besprechen und dann würden wir weitersehen. Und fühle mich wichtig dabei - es gilt, das Seelenleben meines Kindes zu retten. Aber Beanie hat Besseres zu tun, muss Lego bauen, Fußball spielen, Puzzleteile suchen, malen, aus dem Fenster schauen, in der Nase bohren. Ich schreibe der Lehrerin ein paar Tage später, dass Beanie wohl doch noch Zeit bräuchte und klopfe mir selber auf die Schulter für mein ungeheures Feingefühl. Man muss das Kind ja nicht drängen, muss Zeit geben, Verständnis haben!!! Die Antwort kommt ziemlich schnell: Beanie habe bereits vor einigen Tagen die andere Kinder informiert, er habe sich beim Klassenrat vor die Klasse gestellt und von den Plänen erzählt, Fragen beantwortet. Er sei dabei sehr ruhig und gelassen gewesen. Wait, watch & wonder. Mein Kleiner, wie du dein Leben in die Hand nimmst. Ich hänge still mein Superman-Cape an die Garderobe. Für den nächsten Einsatz.

Der Herbst ist die Zeit des Luftholens. Ich sehe meine Kinder fallen, sich streiten, steile Berge runterrollen und dabei die Augen schließen. Ich sehe sie rennen und singen und schubsen. Sich streiten, sich umarmen. Wo ist der verdammte Fahrradhelm, Dark Vader? WO IST ER HIN? Keine Ahnung, Mama, irgendwo vielleicht? Beanie rennt los durchs Dorf, sucht, findet. Ich sehe meine Kinder spielen, miteinander, mit anderen, allein. Am Rand ihres Gesichtsfeldes stehe ich, das Superman-Cape immer im Rucksack.

Wait, watch & wonder, they say. It's gonna be awesome, they say. Dass das leicht ist, hat hingegen niemand gesagt.