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Von Umzügen und anderen unaufhaltbaren Dingen

von Edda

Wir ziehen um. Und zwar nicht mal eben um die Ecke (was ja bekanntlich schon schlimm genug ist), sondern weit weg. Richtig weit. So mit Container und Erfahrungsberichten, nach denen die Möbel auch gerne mal so lange unterwegs sind, dass die Teppiche anfangen zu schimmeln. Hätten wir Teppiche, würde uns das beunruhigen. Haben wir aber nicht. Dafür aber vier Kinder mit Eichhörnchengenen, die ihre gehorteten "Schätze" an immer neuen Plätzen vor meinem Zugriff verstecken. Und die überhaupt keine Lust auf Abenteuer haben, sondern stattdessen lieber erzkonservative kleine Kacker sind.

Auftritt Dark Vader mit Hasi im Schlepptau, das Mädchen zieht eine Fluppe und der Hase lässt die Ohren hängen. Sie hätten das besprochen und würden nicht mitgehen, wird mit wichtiger Miene verkündet. Hasi hätte Angst vor Haien und man selbst habe ja keine Angst vor nichts - aber so weit weg könne ja ohnehin nichts Tolles sein. Sonst wäre das ja nicht so weit weg, sondern hier, wo bekanntlich ganz viele tolle Sachen sind. Bevor ich mich zur Sippenhaft-Theorie der Tollitäten äußere, legt sie nach: Und überhaupt wolle sie Ballett machen. So mit Armen und Füßen und einem fluffigen Rock. Sie wedelt bedeutungsschwer mit den Armen und dabei fegt Hasi zwei bis drei Becher vom Tisch. Gefüllte, wohlgemerkt. Siehst Du, brüllt das Kind, deine Schuld!!! Mit deiner blöden Umzieherei. Hase und Kind rauschen ab. Wir gehen zur Oma, die ist wenigsten lieb, kreischt es zweistimmig von draußen. Komm Hasi, wir packen schonmal.

Ballet ist, was ich hier jeden Tag mache - brülle ich hinterher. Was du hier machst, sagt Beanie, der am Küchentisch sitzt und Hausaufgaben machst, sieht oben eher für mich nach Möhren schnippeln aus. Und unten danach, als hättest du deinen Fuß im Mund vom Baby stecken. Die zahnt, erkläre ich. Das ist eine Zahnfleischmassage - ich habe eben keine Hand frei. Ziehe aber schuldbewußt den großen Zeh aus dem Mund des Babies, das bis gerade begeistert darauf gekaut hat und direkt anfängt zu weinen.
Ballett ist, wenn man oben lächelt und unten das Blut aus den Schuhen läuft, erkläre ich dem Großen. Ziehst du denn wenigstens mit um? Nee, sagt der. Ich übe seit Ewigkeiten schon mit diesen Mistheften und habe keine Lust. Wenn es so schon losgeht, dann kann das nur blöd sein. Ich kann ja zur Oma ziehen. Ewigkeiten können in der kindlichen Wahrnehmung ein geradezu monströses Ausmaß von genau zwei Tagen umfangen. Und wir dachten, dass es doch nicht schlecht wäre, wenn der größte Streber unserer Familie sich schonmal in der bekannt-fremden Sprache warmläuft. Dann eben nicht, denke ich. Dann bleibt doch alle hier, muss ich auch nicht viel packen.

Ich habe die Apfelsaft-Wasser-Sintflut auf dem Fußboden noch nicht eingedämmt, da hat sich das Baby schon wie ein dicker Seestern mittenrein geschmissen und flutscht versonnen durch die Küche. Wenigstens sind die Zahnschmerzen vergessen. Elly kommt rein, rutscht aus, fällt auf den Hintern und schmeißt eine Sirene an, die mindestens so klingt, als würde die Schweiz angegriffen. Die Leute bräuchten gar nicht so viel Geld für Cirque du Soleil auszugeben, die könnten sich einfach mal einen Tag bei mir reinsetzen. Sei ruhig, empfehle ich ihm, sonst stellen sich die Leute vor der Luftschutz-Toilette in unserem Keller an und Du kommst nicht mehr an die Legos, die wir drin gelagert haben. Mehr Pazifismus geht nicht. Elly stimmt mir nicht zu. Verdammt nochmal, sagt er, kann ich einen Schokokeks haben? Nur, wenn du mit uns umziehst, sage ich. Wenn meine Standards in diesem Tempo weiter sinken, dann schicke ich meine Kinder am Umzugsmorgen zum Bäcker und "vergesse" sie bei der Abfahrt. Halt, es geht ja sowieso keiner mit!!! Ich ziehe zur Oma, sagt Elly. Die Oma ist so schön. Sich den Popo reibend marschiert er ab.

Ich greife zum Telefon und rufe meine Mama an. Deine Enkel ziehen zu dir, die wollen nicht mit. Du verlässt besser schon zeitnah das Land, erkläre ich der weltbesten Oma. Ach schön, sagt meine Mama, dann bleibe ich nicht so ganz verlassen hier zurück.

Nachmittags beschwere ich mich bei meiner besten Freundin, die ohnehin noch nie mit mir am selben Ort gelebt hat und der es ja somit egal sein kann, wo ich lebe. Die finden das alle blöd und keiner ist aufgeregt oder gespannt, beschwere ich mich, jeder meckert nur. Spinnst du, sagt die blöde Trulla, erst abhauen wollen und sich dann auch noch beschweren ist nicht drin. Und jetzt entschuldige mich, bei mir fliegt ein Schmetterling am Küchenfenster vorbei.

Himmel nochmal, was ist denn bloß mit den Leuten los?! Noch nie was von Polynesien gehört? Cook Islands? Tasmanien? Bali? Wie konnte aus mir so ein ausgesprochener Abenteurer werden, wenn ich nur von sesselpupsenden Langweilern umgeben bin. Aufregung, Strand, Großstadt, Meer, neue Perspektiven und Surfbretter mit Haigebissspuren - wer träumt davon denn nicht, bitte?
Sehr missgestimmt gehe ich ins Bett und bin beleidigt. Aber nachts wache ich von irgendwas auf, das weder Babygebrüll ist noch Elly, der seinen Schnulli nicht finden kann. Ich denke daran, wie ich Sehnsucht nach Deutschland habe, wenn ich mal vier Wochen nicht die Grenze überquert habe. An Kohlrabi und den Wochenmarkt bei mir daheim im Taunus. Ich denke an das alte Sofa, das oben im Wohnzimmer steht und auf dem zwei meiner Kinder zur Welt gekommen sind - und das in meiner Inventarliste in der Spalte "wegschmeißen" steht. An die Winternächte, wo ich von meinem Bett aus in den verschneiten Wald schauen kann. Daran, dass ich immer steif und fest behauptet habe, hier nicht daheim zu sein - und jetzt in viele traurige Gesichter schaue, die mich scheinbar außerhalb meines Gesichtsfeldes über Jahre begleitet haben. An meine Kinder, die nur dieses Leben hier kennen und nicht verstehen, wieso es woanders auch schön sein könnte.
An die große weite Welt und mich und daran, dass ich zumindest Ballett kann. Der Rest wird sich zeigen.