Dark Vader, Beanie und ich rennen zum Zug. "Los, Dark Vader, schneller! Ene Mene Qualmfuß, flieg los, Dark Vader. Hex hex!"
Das Mädchen feuert sich selbst an und düst in einem furiosen Sprint-Finale durch das Dorf. Hasi klemmt vorne unter dem Brustgurt des Rucksacks und rennt so heftig mit, dass seine Ohren wie Palmwedel im Sturm auf und ab floppen.
Schatz, warum redest du dich denn selber mit Namen an?
Ich höre mir dann viel besser zu, erklärt das Kind.
In den letzten Wochen haben wir viel über Stress gesprochen. Jetzt reden wir über Achtsamkeit und Ressourcen. Von mir weiß man, dass ich jeden Morgen auf dem Hometrainer stehe und man mich nur dann stören sollte, wenn die Hütte brennt. Mindestens. In diesen kostbaren Minuten sortiere ich den ganzen Tag, schwitze den Mist von gestern aus und schaue auf den See. Vor dem Schlafengehen creme ich meine Hände und Füße ein und stelle mir vor, wieviele Kilometer die heute gelaufen sind, Äpfel geschnitten, Pflaster geklebt, andere Hände gehalten, kleinere Füße draufstehen gehabt haben. In solchen kleineren Gesten liegt mein Seelenfrieden. Der Ire findet das Geschmiere entsetzlich. Bis er sich allerdings über den Schmierfilm auf dem Bettlaken mokieren kann, bin ich schon eingeschlafen. Und wenn alle Stricke reißen und man weder schmieren noch strampeln kann, sprühe ich mir die Haare mit Kokos-Haarparfüm ein. Je mehr Stress und Unruhe, desto heftiger wird beduftet. An schlechten Tagen schiebe ich eine ganze Kokosplantage vor mir her.
Kindern braucht man keine Achtsamkeit beizubringen, die können das von ganz alleine.
Dark Vader und Hasi sind traurig. Veränderungen liegen in der Luft, genauso wie der Herbst. Dark Vader baut Höhlen und verschwindet stundenlang, ab und zu kommt Hasi in die Küche und verlangt Schokokekse. Ob Dark Vader nicht selbst kommen können, damit ich nochmal das mit der Schokolade und der Sofaritze erklären könne, sage ich. Hasi schüttelt den Kopf, Dark Vader übe es, weg zu sein. Dann müsse sie davor auch keine Angst mehr haben. Ich bin traurig, Mama, piept es aus der Höhle. Sprüh doch mal. Ich hole mein Haarparfüm und be-kokos-e das Mädchen. Dann geht sie wieder in ihre Höhle. Hier riecht es nach Bounty, ruft Hasi von drinnen. Sollen wir mal in der Sofaritze gucken, ob wir noch Reste finden?
In Zeiten des Umbruchs muss man auf die Dinge zurückgreifen von denen man weiß, dass sie die eigene Welt am Auseinanderfallen hindern. Das weiß auch Beanie und ruft Oma an. Oma, sagt er, Oma, ich will nicht. Und wenn ich nicht will, dann muss ich auch nicht. Warte mal, Oma, ich gehe woanders hin - die Mama hört immer so um die Ecke. Und dann verschwinden Kind, Telefon und ein Gespräch, von dem ich weiß, dass es ihm schon deswegen hilft, weil er es selber herbeigeführt hat: Bedürfnis erkannt, Telefon genommen und bedient, Nummer gewusst, Panama gefunden. So war das schon beim kleinen Bär und dem kleinen Tiger.
Elly ist der Herrscher der Welt, eher des Universums. Er ist der Größte, Stärkste und der Schönste ist er sowieso. Das ist als Konzept aber fast nicht 24 Stunden lang durchzuhalten, also ist Elly zwischendrin erschöpft. Und manchmal dann doch einfach drei Jahre alt und klein mit großen Händen, Füßen und sehr viel Haar. Nach dem Bett-Spring-Jodel-Kontest geht der Tag zu Ende und die gesammelten Eindrücke finden in Elly's Kopf keinen Platz. Ich geh nochmal zu Beanie ins Bett, verkündet das Kind. Aber pups hier bloß nicht wieder rum, sagt der große Bruder, der Koala kann den Gestank gar nicht gut aushalten. 5 Minuten später wird es laut. Elly hat gepupst, brüllen Koala und Linus im Chor. Wedel das doch einfach weg, empfiehlt der sichtlich begeisterte Elly. Mama, hol mal das Sprüh!!!! Nach kurzer Zeit legt sich beruhigender Kokos-Geruch über das still werdende Zimmer und als ich später nochmal nachschaue riecht es, wie an einem amerikanischen Strand zur besten Sonnenbad-Zeit.
Das Baby soll schlafen, aber das ist nicht so einfach. Die Welt ist groß, aufregend, die Tage sind voll und nebendran springt Elly lautstark jodelnd auf seinem Eiscreme-Bett. Das ist eher nicht hilfreich. Da findet das Baby etwas ganz Tolles: klein und weich und beweglich, krabbelig, zart und genau da, wo man es braucht. Liebevoll hält es sich selbst an der Hand, dreht sich zur Seite und schläft ein.
Wenn man sich mag und kennt, dann ist Hilfe nie ganz weit entfernt. Diese große Liebe zu sich und das Urvertrauen in die eigenen Fähigkeiten bringen Kinder mit. Herausfordernd wird es, wenn man Strategien entwickeln soll, das, was hilft, in etwas allzeit Abrufbares zu verwandeln. Da muss man eigentlich gar nichts institutionalisieren, sondern eher die richtigen Fragen stellen. Was hilft dir? Was brauchst du? Wo fühlst du dich sicher? Die besten Strategien sind immer die, die zufällig an einem vorbeikommen. Now excuse me, I have some coconuting to do.