Mit dem Scham ist das so eine Sache, findet Elly und pupst verträumt auf seinem Tripp Trapp. Da knattert es ganz besonders toll. Was denn los sein, fragt er und als nicht sofort jemand antwortet bohrt er nach. Und zwar in der Nase. Grün und schleimig , das muss Gemüse sein! Elly knuspert genüsslich.
Hasi wird es ein bißchen übel und er klammert sich an Dark Vader's Schulter fest. Die denkt sich schnell ein Trost-Lied aus und schmettert es ungeniert in unsere Mittagessensrunde. Dark Vader kakophoniert laut vor sich hin, Elly's Popo stimmt mit ein und der Besitzer gluckst begeistert, das Baby lacht über beide Schwabbelbacken und schmiert sich Rote Bete in die Haare.
Beim Einkaufen zeigt Dark Vader auf eine Familie in derselben Gangreihe und sagt anklagend in ihrer Stadionlautstärke, dass die aber wirklich auch mal hätten Sonnencreme benutzen sollen. ES IST NÄMLICH ECHT UNGESUND SICH DIREKT IN DIE SONNE ZU LEGEN. Die indische Familie dreht sich zu uns um und staunt. Ich versuche herauszufinden, ob das allerhinterste Gurkenglas aus dem Regal nicht vielleicht doch das Beste wäre.
Scham ist nicht angeboren. Menschen kommen auf die Welt und finden es normal, sich am Penis zu ziehen bis der doppelt so lang ist. Oder in der Klokabine auch gerne mal ein lautes Juchu dem Stinki hinterherzuschicken, den man gerade in lautstarker Schwerstarbeit auf die Reise geschickt hat. Das Baby fällt gefühlt tausend Mal pro Tag auf den Windelpopo und grunzt dabei begeistert. Es reißt die Arme in die Höhe wie ein Gewinner des Iron Man. Warum auch nicht?
Wann fängt das eigentlich an, dass man Stolpern peinlich findet? Sich nicht daran freut, wie so ein toller Pups rausknattert und hinterher noch begeistert kommentiert, dass der aber echt, richtig wirklich total stinkt. Dass es unangenehm ist, wenn man was nicht kann und andere das mitkriegen. Dass man so sein möchte wie alle und so, dass einen eigentlich niemand mitbekommt?
Beanie soll Blockflöte üben und es klingt zugegebenermaßen so, als würde man eine Spitzmaus ein kleines bißchen zu fest umarmen.
Hör auf mit dem Krach, spiel doch lieber was Schönes, findet Elly und stellt sich gleich mal in Tanzpositur. Ich kann das nicht, schreit Beanie und ist tödlich beleidigt. Blöder Elly, fiese Mama - zu diesen Kackscheißflötenstunden gehe ich nie wieder!!!
Alle wollen Sachen können, keiner will sie lernen. Weil lernen eben uncool und peinlich ist: man macht Fehler, sieht nicht gut aus, klingt ätzend und fühlt sich einfach doof.
Vor eine Jahr waren wir in Südafrika und ich wollte gerne surfen lernen. So richtig. Ich fand mich super in meinem Wetsuit und bin total elastisch zum Brett geschritten. Einen sehr gutaussehenden und netten Surflehrer hatte ich auch noch. Und dann bin ich vom Brett gefallen. Bei jeder Welle. Und zwar nicht aus dem Stand, sondern schon beim Versuch, überhaupt aufzustehen. Ich bin anderthalb Stunden vom Brett gefallen und keinen hat interessiert, dass ich im Wetsuit vorher sehr schneidig ausgesehen habe. Bei mehreren meiner Stürze ist mir hinterher dann noch mal eben kurz das Brett auf den Kopf gekracht. Am Strand saßen meine drei Kinder und mein Mann. Du musst stehenbleiben, Mama!!! Dark Vader wollte mir gerne Tips geben. Soll das so aussehen, fragt Elly sachkundig. Ich habe mich sehr geschämt, fand mich schwerfällig, unsportlich, enttäuschend und dachte, dass irgendwer meine Fließbandstürze bestimmt filmt und bei YouTube reinstellt. Lachnummer des Jahres, oder so. Man will immer gerne ein Held sein und nicht der Rohrkrepierer, als der man sich nunmal fühlt, wenn man Sachen lernt, die nicht innerhalb von 10 Minuten zu erlernen sind. Was bei so ziemlich Allem der Fall ist.
Dabei finde ich es gerade im Umgang mit Kindern so wichtig zu zeigen, dass man selbst nicht der große Profi ist und sie die kleinen Deppen, die es eben erst lernen müssen. Nur, weil wir Eltern sind, können wir nicht alles. Und verschweigen dann die Lücken oder tun so, als müsste man das eben auch nicht können. Perfektion ist der Feind des Abenteuers und diese Erkenntnis ist nicht leicht, weil man als Durchschnittsmensch schon immer gerne alles im Griff haben will.
Lebenslanges Lernen bedeutet auch lebenslanges Fallen, es bedeutet die Peinlichkeit der Unkenntnis und des Unvermögens. Und trotzdem ist es wichtig. Alle Medien sprechen über den Stress, den schon Kleinkinder heute empfinden und natürlich gibt es kein Geheimrezept dagegen. Aber ich behaupte, dass es helfen würde, wenn wir uns als Eltern gerade vor den Augen unserer Kinder durchaus auch mal dem eigenen Unvermögen stellen würden. Kann ich nicht, weiß ich nicht, ist mir noch nie gelungen, kann ich mal probieren, gebe aber keine Garantie, da habe ich aufgegeben - sagt das doch einfach auch mal zu Kindern. Und damit meine ich nicht diesen Kleinkram, sondern Fertigkeiten, Fähigkeiten.
In Zeiten, wo man viel vermeintliche Perfektion um sich herum sieht, wo das perfekte Ergebnis scheinbar nur einen Klick entfernt ist oder man einfach ein bißchen Geld dafür ausgeben muss - in solchen Zeiten ist Scheitern gerade sexy, maßgeblich und verdammt wichtig.
Ich träume davon, nochmal an die Uni zu gehen. Erwachsene gehen doch nicht mehr zur Schule, finden meine Kinder. Doch, sage ich. Manchmal stellt man fest, dass man nochmal Sachen lernen will, von denen man vorher nicht wusste, dass sie einem fehlen oder man sie gerne können will. Das ist doch aber peinlich, findet Beanie. Ja, gebe ich ihm recht, mir ist das auch manchmal peinlich. Aber ich kann mich doch nicht von was abhalten lassen, nur, weil es irgendwem peinlich ist oder mir unangenehm. Oder es alle blöd finden, ergänzt Dark Vader hilfreich wie immer.
Leben muss man nicht lernen, sagt Elly und zieht an seinen Haaren, die versuchen, in alle vier Himmelsrichtungen gleichzeitig zu wachsen. Das Baby befühlt mit seiner Zunge den neuen Zahn und freut sich, dass da was in seinem Mund drin ist, was definitiv gestern abend noch nicht da war.
Es wäre toll, wenn man schon immer alles könnte, meint Beanie. Nicht-Können ist blöd. Ist es aber nicht super, wenn man was nicht kann und dann übt man und lernt und gibt sich ganz viel Mühe und dann kann man es irgendwann, frage ich. Ich gehe nicht mehr in die Scheißkackflötenschule, schreit Beanie. Ich kenn das schon, du versuchst dich wieder so in meinen Kopf reinzuschleichen. Und wenn überhaupt, übe ich nur noch nachts, wenn mich keiner hört. Dann kommen wenigstens keine Einbrecher mehr, findet Elly, die kriegen bei deinen Liedern immer so Angst.