Klau doch mal Klopapier in der Uni, bitte ich den Iren am Telefon. Ich bin gerade mit Millionen von Tüten zurück vom Einkauf und habe ziemlich entgeistert vor leeren Klopapier-Regalen gestanden. Wahrscheinlich bin ich somit der letzte Mensch, der festgestellt hat, dass Hamster mitten unter uns weilen. Der Ire schnaubt entrüstet und erklärt, das sei Diebstahl und er entblöde sich nicht zu so was. Ach so, sage ich, ich habe in den letzten Stunden allen fünf Kindern den Hintern gewaschen, weil wir kein Klopapier mehr haben und sich andere Leute stattdessen daraus Ferienhäuser zu bauen scheinen. Wer entblödet sich hier also? Und dann empfehle ich dem verblüfften Iren, sich seine hehren Moralvorstellungen in den Hintern zu schieben. Ach nee, lieber nicht, wir haben ja nichts zum hinterher abwischen.
Während die Welt also zwischen Panikkäufen und Handdesinfektionsmittel lautstark untergeht, wird es im Zimmer der Super-Oma stiller. Das Baby hat die zwei Monatsmarke geknackt, für mich hat der Uni-Betrieb wieder Fahrt aufgenommen und ihre Heimfahrt kommt immer näher. Bleib doch hier, sage ich nicht, weil ich ja nicht meinen Kindern gegenüber das Recht der Mamas auf ein eigenes Leben verteidigen kann und meiner eigenen Mama Ähnliches abspreche. Und trotzdem: Bleib doch hier, murmele ich abends vor dem Schlafengehen vor ihrer zugezogenen Zimmertür. Für meine Mama würde ich Klopapier auch selber stricken. Die Stimmung ist insgesamt getrübt in der Abrissbude, die wir unser australisches Zuhause nennen. Und wie immer ist es Beanie, der Erkenntnisse lostritt. Die Schule sei einfach doof, sagt er beim Abendessen und seine Augen werden feucht. Er habe keinen Hunger. Dann legt das Kind sein Besteck ordentlich auf den Teller, steht auf, geht zum Sofa und fängt an zu weinen. Alle anderen Esser sind fassungslos, denn Beanie weint praktisch nie. Schatz, frage ich, ist jemand fies zu Dir? Man hofft ja als Eltern immer auf einfache Sachverhalte. Nee, schnüffelt Beanie, ich bin einfach nicht glücklich in der Schule.
Das mit dem G-Wort ist ja so eine Sache, denn nicht glücklich sein lässt sich nicht wegdiskutieren und hat viel mit aufs Klo müssen zu tun. Man muss oder man muss nicht. Und man ist glücklich oder man ist es eben nicht. Scheiße, denke ich, da muss man was tun und soviel sich mit Klopapier wegwischen lässt, das hier gehört nicht dazu. Aber auf wieviel Glück darf man pochen und wo wird es unverschämt? Ich entscheide, mich an die amtierende Präsidentin des Clubs unverschämter Forderungen zu wenden. Vaderchen, suche ich meine Tochter auf, die gerade versonnen damit beschäftigt ist, einen Filzstift in die Mitte eines Klebestiftes zu bohren. Klebstoff quillt über den Plastikrand, schmiert auf ihren Händen, der Schuluniform und dem frisch gewaschenen Bettvorleger. Ich ächze und will mich gerade wutentbrannt ins Getümmel stürzen, da fällt mir der Grund meiner Konsultation ein. Vaderchen, setze ich nochmal krächzend an, wie geht das mit dem Glück nochmal. Dark Vader schaut mich entrückt an und ich sehe an ihrem Blick, dass sie innerlich im Land der glitzernden Regenbogen und tanzenden Popcorntüten weilt. Wie, fragt sie von weit weg. Glück, frage ich zurück, woher kommt das Glück. Da stürmt Elly ins Zimmer, mit nacktem Hintern unter einem Tüllrock, dafür aber mit ausladenden Plastikflügeln auf dem Rücken. Komm, brüllt er, ich habe im Garten eine Ameise gefunden. Und die braucht Hilfe. Das lässt sich Dark Vader nicht zweimal sagen, sie schwingt ihr Laserschwert (also, eigentlich ist es mein Küchenbesen, denn ihr Laserschwert ist gerade nicht auffindbar), brüllt Attacke und weg sind sie. Mein Besen, sage ich und fluche dann, denn ich stehe mit nacktem Fuß in den Resten des Klebestiftes. Auf dem Weg nach unten sehe ich sie im Garten, das Mädchen mit der Sonne in den Haaren und den kleinen Jungen im Tüllrock. Und ich bin mir sicher, dass zwischen ihnen und mir gerade ein ganzes Universum Platz hat, so versunken sind sie beide.
Die Lösung meines Glücks-Problems lässt auf sich warten und ich fahre ein paar Tage später in die Uni. Das Baby und ich sitzen noch nicht richtig, da bekommt das Baby Hunger. Während die Dozentin über Statistik spricht, klicke ich den Still-BH auf. Das Baby schmatzt begeistert. Und dann kackt es in die Windel, dass der Tisch nur so klappert. Ich würde gerne sterben, entschuldige mich und gehe vor die Tür. Ich wickele im Kinderwagen und versuche dabei, durch das Fenster in der Tür die PowerPoint Präsentation zu verfolgen. Ich habe gerade wieder den Seminarraum betreten, da brüllt das Baby los wie am Spieß. Mein Tutor redet tapfer weiter, aber das Baby hat seinen Lord Voldemort-Gesichtsausdruck und ist unbeeindruckt von den Tiefen der Forschungstheorie. Es brüllt. Und brüllt. Und spuckt mir dann eine Ladung halbverdaute Milch in den Still-BH, wo sich genau zwischen den beiden Brüsten ein halbes Milch-Schwimmbad bildet. Pools in Australien kosten ungefähr 100.000 Dollar ... das Milch-Schwimmbad gab's umsonst. Mir kommen die Tränen, ich drehe mich um und verlasse den Seminarraum. Draußen lehne ich meine Stirn gegen die Wand und mache kurz die Augen zu. Das Baby schnieft leise und legt den haarigen Kopf in meine Halsbeuge, rollt sich zusammen und schläft ein. Glück, denke ich, verdammte Scheiße. Das kann doch nicht so schwer sein. Die Tage sind voll mit Windeln und lernen und Renovationen und während in Europa die Grenzen langsam hochgehen, ist es in Australien eines Morgens Herbst. Beanie ist still und als ich ihm die langen Haare kämmen will, dreht er sich weg. Nein, sagt er, da ist so viel im Kopf, nicht bürsten, sonst wird es noch mehr durcheinander. Ok, sage ich und mache mir Sorgen. Mimimi aber spürt, dass da was nicht stimmt: Du Baby, krakeelt sie und zeigt mit dem Speckfinger auf ihren Lieblingsmenschen. Du Baby, lacht Beanie und macht die Arme auf. Das dicke kleine Mädchen und der knochige Junge legen die Arme umeinander und für einen Moment guckt die Traurigkeit in eine andere Richtung.
Freitags ist unser zweitliebster Tag, weil die Woche rum und die nächste Woche noch weit weg ist. Los, Strand, sage ich nach Schulschluß und lade fünf Kinder in den dreckigen Bus. Über dem Meer leuchtet die Herbstsonne und der Strand ist leer. Somit sieht keiner, dass Beanie der König der Arschbomben ist, Dark Vader im Wasser auf den Händen laufen kann, Elly später mal Surf-Life Saver-Polizist-Ballettänzerin wird und Mimimi super mit Sand werfen kann. Das Baby schläft als Handtuch-Wickelwürstchen auf meinem Arm und ich atme mir den Kopf frei. Als alle Lippen blau sind, will ich zum Aufbruch blasen, aber es will keiner nach hause. Pommes, frage ich und schaue in begeistert schnatternde Gesichter. Als wir das Strand-Kiosk betreten, drehen sich die Köpfe um, denn fünf in gestreiftes Frottee gewickelte Kinder sind vielleicht kein alltäglicher Anblick, wenn sie augenscheinlich zusammen gehören. Der Zirkus ist in der Stadt, denke ich und spüre einen Stein im Bauch. Mein alltägliches Glück ist für andere Menschen das reinste Panoptikum. Die Kinder essen Pommes und dann schauen wir alle aufs Meer und sehen die Surfer übers Wasser fliegen. Keiner redet, aber alle sind wir uns stillschweigend einig, dass uns das große Glück jetzt gerade gestohlen bleiben kann. Aber irgendwann sind die Pommes gegessen und Mimimi wird müde. Heim, frage ich traurig, denn das jetzt könnte für mich ewig dauern. Elly steht als Erster auf, er schnappt sich seine Schwimmnudel und bahnt sich seinen Weg durch die Tische. Wie ein Banner schwebt die rosa Schwimmnudel durch das Kiosk. Der Zirkus ist in der Stadt, denke ich wieder, aber der Kloß im Hals ist verschwunden. Manege frei, wir kommen!