All yours?? Die ältere Dame im Supermarkt kriegt Kugelaugen. Genau wie die, die 10 Minuten später versucht, in mein Tragetuch zu schauen und der ich gerne die Finger abgebissen hätte. Und wie der ältere Herr, der 20 Minuten vorher mich und den Rattenschwanz an Kindern amüsiert betrachtet, wie wir versuchen, den Wocheneinkauf zu bewältigen. Nein, fünf Kinder sind nicht normal. Für mich allerdings schon, denn zu mir gehören sie ja und mein armer Beckenboden kann davon ein Klagelied singen. Das rechtfertigt allerdings nicht, dass ich spätestens seit der Geburt des Babies einen Spießrutenlauf durch Menschen veranstalte, die meine Kinderschar bestaunen wollen. Und die sich stillschweigend fragen, ob wir entweder fundamentale Christen, Masochisten oder einfach stinkreich sind. Die haben wohl alle nicht das wunderbare Interview mit Campino gelesen, der vor ein paar Jahren auf die Frage danach, was heute denn überhaupt noch Punkrock sei, geantwortet hat, dass ihm da nicht viel einfalle - außer, viele Kinder zu kriegen. Punkrock, motherfuckers!
Das verleiht meinen Schritten wieder eine gewissen Dynamik und ich lade daheim meine unzähligen Einkaufstüten aus. Dabei erwischt mich unser kleiner Nachbarsjunge, von dem ich das Gefühl habe, dass er unser Haus fest im Blick hat. Was macht ihr so, fragt er mich und schaut sehnsüchtig zu unserer Veranda, auf der sich sehr viele Kinder zusammenrotten (meine, um genau zu sein). Man hört Lachen und ich werde misstrauisch. Was macht ihr da, frage ich. Mimimi hat einen Stinki auf die Veranda gemacht und spritzt ihn gerade mit ihrer Wasserpistole ab, brüllt Beanie. Flush! erklärt Mimimi, sich zurzeit in der Hochphase des Toilettentrainings befindend. Kann ich spielen kommen, der dreijährige Nachbarjunge zieht mich an Hosenbein. Während ich versuche, mir meine innere To Do Liste zu vergegenwärtigen, kommen die Kinder von schräg gegenüber durch den Garten. Das Mädchen spielt mit Dark Vader Fußball, interessiert sich meistens aber eher fürs Rasen-Streicheln als für den Ball und ihr Bruder hat heute einen hyperaktiven Tag und federt durch den Garten wie ein Flummi. Habt ihr keine Schule? frage ich genervt, weil ich gerade erst 10 kg Schokokekse gekauft habe und nicht plane, die direkt aus der Einkaufstasche an den halben Wohnort zu verfüttern. Es ist Samstag, erklärt das Nachbarsmädchen, uns war langweilig und hier ist es spannend. Spannend, das Wort klingelt in meinen Ohren. Und während sich die Kinder unserer Nachbarschaft in Richtung Haustür schieben, erinnere ich mich an das Buch "Paul Vier und die Schröders" von Andreas Steinhöfel, den ich bis heute wunderbar finde. Es geht um eine Kleinstadt, in die eine Familie mit vier Kindern zieht und um deren Nachbarsjungen, der im alltäglichen Irrsinn der Großfamilie einen Ausgleich zum eigenen geordneteren Familienleben findet. Ich war genau im Alter des Protagonisten, als das Buch erschien und habe es heiß und innig geliebt. In Gedanken schleppe ich die letzten Tüten ins Haus, das sich bereits fest in der Hand von spielenden Kindern befindet. Im Garten steht Elly, die Piraten-Fee, in Tüllrock und mit Kopftuch und dirigiert die Crew seines Schiffs alias dem Nachbarjungen. Dark Vader und das Nachbarmädchen klettern im Baum und pflücken Frangipani-Blüten. Mimimi tanzt mit nacktem Hintern gefährlich nah neben meiner frisch gepflanzten Petersilie und Beanie spricht den Würmern in unserer Wurm-Farm Mut zu, sie mögen doch bitte keine Angst haben, wenn er sie gleich wässern kommt. Ich denke an die Macht des Chaos und daran, dass in diesen ganzen Freiräumen, die entstehen, wenn ich mein elterliches Auge nicht überall haben kann, viel Freiheit für meine Kinder steckt. Macht keine Sauerei, bitte ich Dark Vader halbherzig, die gerade aufgeregt Blüten und Wasser und Erde mantscht. Und denke dann: Doch, macht Sauerei! Spielt und mantscht und brüllt und lacht und streitet euch, als gibt es kein Morgen mehr. Was Paul Vier zu den Schröders führte, war nicht, dass das vier Kinder waren. Sondern, dass er diesen Moment der Anarchie mochte, der entsteht, wenn elterliche Fürsorge abgelenkt wird. Jeder will sich eine Scheibe von der Kindheit unserer Kinder abschneiden: Schulen, Kitas, Freizeitverpflichtungen und nicht zuletzt wir selber, denn die sollen ja mitmachen, verstehen, zuhören, doch mal warten und auch mal still sein. Und obwohl wir den Großteil unseres Lebens erwachsen sind, ist die Kindheit das Fundament, auf dem der ganze spätere Mist aufbaut. Ich hab Seife gemacht, prahlt Dark Vader, so wie die aus Berlin! In ihrem Eimer schwappt braune Pampe mit Blüten, Gras und Stöcken. Riecht toll, Mama, Mama?, riech mal, Mama, hab ich für dich gemacht, Mama. Ich nehme mein kleines Baby auf den Arm und setze mich ins Gras. Jeder Tag ein Abenteuer und jede leere Klorolle ein Schwert, denke ich. Riecht toll, sage ich zu Dark Vader und nehme sie in den Arm.