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Where is the love?

von Edda

"What's wrong with the world, Mama?" sangen die Black Eyed Peas und "Where is the love?". Genau das frage ich mich auch, als ich sehe, wie unser Nachbarsmädchen nachmittags auf dem Schulhof auf Beanie zugeht und ihn anlacht. Hallo, sagt sie und strahlt ungefähr wie 36 Grad Ende Juli. Beanie schielt unter seinen Haaren raus, murmelt irgendwas. Und geht weg. Zurück bleibt das Mädchen, seine Schultern sinken ein und sie schaut sich um, als hätte sie was verloren.
Ich war kurz unaufmerksam, weil sich das Baby in einen Nahkampf mit mehreren Stöcken begeben hatte und Augenlicht immer vor Aufsichtspflicht geht. Aber diese Szene ist mir dann doch nicht entgangen. Verdammter Drecksack, denke ich über meinen Sohn, den ich doch eigentlich sehr mag. Was bildest Du Dir ein? So behandelt man doch niemanden, der einem verlässlich seit Jahren beisteht, gelegentliches Fehlverhalten verzeiht und immer die besten Süßigkeiten teilt. Fast wäre ich aufgestanden und hätte die magische Grenze überschritten, die spielende Kinder von den am Rand sitzenden Eltern trennt. Dann besinne ich mich und mache mir stattdessen eine mentale Notiz für das gemeinsame Abendessen:

1. Mehr Blockflöte üben.
2. Wo sind eigentlich alle meine Scheren hingekommen?
3. Wer hat die Smarties in die Sofaritze gestopft?
4. Keine Fiesheiten gegenüber Kindern, die man eigentlich mag. Um präzise zu sein: Was fällt dir eigentlich ein, Sohn?

Der Ire und ich sind nicht zimperlich, wenn es darum geht unseren emotionalen Standpunkt den Kindern gegenüber auch mal plakativ zu verdeutlichen. Wir fluchen oft wie die Kesselflicker und dass der kleine Elly in der Krippe beim morgendlichen Marmeladenbrotabsturz ein kräftiges "Verdammt nochmal" fahren lässt, ist sicherlich kein Zufall.
Also reiße ich abends beim gemeinsamen Essen meinem Ältesten in aller Ruhe und Deutlichkeit den Kopf ab. Das entpuppt sich allerdings als fieses Eigentor. Mentale Notiz:
1. Kakao zum Abendessen funktioniert nie.
2. Dark Vader müsste aufhören, sich in der spiegelnden Backofentür zu bewundern, damit wir in diesem Leben auch mal ein Abendessen gemeinsam beenden.
3. Erst nachfragen, dann ankacken. Repeat with me: Erst nachfragen, dann ankacken.
Beanie fängt nämlich an zu weinen. Die anderen Kinder würden sich über ihn lustig machen und immer sagen, das Nachbarsmädchen sei in ihn verliebt. Und dann würden sie doof lachen und ihm die Lunchbox wegnehmen. Ich will Namen wissen, habe schon das Telefon in der Hand und den Finger auf der Klassentelefonliste. Dann erinnere ich mich an Punkt 3 meiner mentalen Notiz: Erst nachfragen, dann ankacken. Ich atme durch.


Das mit der Lunchbox ist schnell geklärt. Schatz, sag doch dann einfach: Gib mir sofort meine Lunchbox zurück, du blöde Arschkrampe. Beanie heult lauter. Da würde es dann aber Ärger mit der Lehrerin geben, er käme eine Wolkenstufe runter und dann wären es nur noch fünf Stufen bis zum Blitz und da gäbe es Strafarbeit und überhaupt würde er dann keine Sonne kriegen und dürfe sich in zehn Wochen keinen Radiergummi in Eulenform aussuchen. Aha, sage ich.
Über die Lunchbox-Sache sprechen wir noch. Sag doch lieber mal, was schlimm daran ist, wenn einen jemand mag. Ist doch viel blöder, wenn einen niemand leiden kann. Nee, sagt Beanie. Nur Mädchen sind verliebt und das ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Mentale Notiz:
1. Segelboot-Markt checken
2. Abmeldung von der Schule
3. Dem Iren die weitere Kommunikation zu diesem Thema aufzwingen.

Ich bin in jeden verliebt, erklärt Dark Vader und Hasi nickt zustimmend. Besonders in Charlie, fügt sie hinzu. Charlie sei ein Räupli und habe gerade mit dem Kindergarten angefangen. Charlie sei das Beste und Schönste überhaupt. Ist Charlie ein Junge oder ein Mädchen, entblöde ich mich zu fragen (Himmel, können die Eltern ihre Kinder nicht weiterhin Peach Blossom Lollipop nennen? Oder Bulldozer Godspeed Junior?) Weiß ich nicht, piept Dark Vader, ist doch egal. Was hat das Kind denn für Haare, frage ich. Mama, klugscheißert Beanie, du sagst doch immer, dass man an den Haaren nicht festmachen kann, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Es ist der Abend der Eigentore.

Ich kann niemanden leiden, sagt Elly zufrieden. Ich liebe alle und mich auch. Zur weiteren Untermalung fasst er sich liebevoll an beide Ohrläppchen. Dabei stösst er sein volles Kakaoglas um.
Mentale Notiz:
1. Mistkakao. Nie wieder!!!!!
Verdammt nochmal, flucht Elly.

Das Baby liebt auch alle. Dazu noch Melone, weiche Brötchen und harte Brotkruste, an der Oberlippe gekitzelt werden, sich selber hinstellen, anderen ins Kinn beißen, die Welt, das Leben und dann noch ihr Nachtlicht mit den singenden Vögeln, das allen anderen Menschen wahrscheinlich epileptische Anfälle beschert.

Und ich? Ich finde, das Liebe zu einem komischen Konzept wird, wenn man mit soviel körperlichem Einsatz im Kinder-Kontext unterwegs ist. Man startet ja ins Liebesuniversum und denkt, dass es für immer nur darum geht, in anderen Menschen zu versinken. Das Liebe für immer für sich steht. Und dann kommen Kinder, die schreien und nachts aufwachen, die Brüste zersaugen, Bäuche ausleiern und Nerven sowieso. Die einen emotional durch ihre bloße Existenz in die Knie zwingen. Und die einem soviel Gefühl abringen, nur, um dann irgendwann in ihr eigenes Leben zu verschwinden. Ich schaue dem Iren zu, wie er sich durch sein Leben navigiert. Wie er arbeitet, Fußball spielt, manchmal singt, oft flucht. Seine Siege und Niederlagen, die ganzen miesen Tage, an denen man nun mal im Leben mit kleineren Kindern nicht vorbeikommt. Der Ire und ich haben eine minimale Vorlaufzeit miteinander gehabt, bevor wir in die Untiefen der Elternschaft abgetaucht sind. Und wir mussten mitansehen, wie diese ganze zarte, wilde Verliebtheit irgendwo zwischen Feuchttüchern und Reiswaffeln langsam zerknatscht worden ist. Zum Glück aber reden wir hier nicht über Verliebtheit, sondern über das Gefühl, das einen dazu motiviert, auch nach vielen Jahren sich im Guten wie im Schlechten immer an dieselbe Adresse zu wenden. Und darauf zu vertrauen, dass jedes Gefühl an dieser Adresse einen Platz findet.
Was macht ihr eigentlich sonst so, wenn ihr nicht Mama und Papa seid? Dark Vader säubert gerade Hasis Ohren mit einem Ohrstäbchen und ist offensichtlich in Kommunikationslaune. Dann setzen wir unsere Masken auf, hängen die Superheldenumhänge um und retten die Welt. Einfach so, damit uns nicht langweilig wird und wir in Übung bleiben.
Hasi ist angemessen beeindruckt, Dark Vader eher nicht so. Was denn meine Superwaffe sei, will sie wissen. Wo doch Pistolen hier im Haus nicht erlaubt seien. Ich kann DEN BLICK, erkläre ich ihr. Ich muss Bösewichte nur mit DEM BLICK anschauen, dann brechen sie weinend zusammen und rennen schnell weg. Fiese Mama, arme Bösewichte, findet Elly. Das stimmt, schaltet sich Beanie ein, ich hab das schon gesehen. Neulich wollte uns ein Drittklässler den Fußball abnehmen und dann hat die Mama ihn so angeschaut und geschnaubt und dann hat der den Ball fallengelassen und ist weggegangen. Langweilig, findet Dark Vader, pups doch lieber Feuer. Hasi nickt wichtig und zieht sich vorsichtig das Ohrstäbchen aus dem Schlappohr.
Da kommt der Ire in die Küche, die ohnehin schon bruchvoll ist. Er legt mir die Hand auf die Schulter und für einen kurzen Moment gibt es nur ihn und mich. Papa kann die Zeit anhalten, erkläre ich. Seine Kinder wollen mir nicht glauben. Ich aber weiß, dass es stimmt.