Früher war ja bekanntlich alles besser: es gab Kiosks mit gemischten Tüten und beim Trampolinspringen ist das Bindegewebe nicht in alle Richtungen gefedert. Studieren war früher auch besser. Das merke ich, als die ersten Leistungsnachweise anstehen und ich Gehversuche in akademischem Englisch unternehme. Meine Versuche klingen so, wie das Baby läuft: cowboymäßig breitbeinig, in alle vier Richtungen gleichzeitig und wild fuchtelnd. Ich kann bekanntlich sehr gut mit Kritik umgehen und schicke daher dem Iren meinen ersten Entwurf. Denn: Kritik vom eigenen Partner ist ja immer super und stets sehr willkommen. Weswegen ich dann direkt auch in Tränen ausbreche, als das Feedback eintrifft. Aus Fehlern lernt man, erklärt er mir in professoralem Ton am Telefon. Später wird er behaupten, ich hätte an dieser Stelle einfach aufgelegt, während tatsächlich nur das Mobilfunknetz spontan zusammengebrochen ist. In echt!
Am nächsten Tag explodiert mir die Blutdruckmanschette. Und das vor meiner gesamten Ausbildungsklasse und während ich an unserer Tutorin die praktischen Inhalte der letzten Woche demonstrieren soll. Nachdem ich mit Sterben fertig geworden bin, gehe ich aufs Klo und schwöre, dass ich hier so lange nicht rauskommen werde, bis da draußen alle weg sind und die Putzmannschaft die Tür aufstemmt. Meine Kommilitoninnen tänzeln leichtfüßig durch Prüfungen, Lerninhalte, Vorträge und während ich mich noch frage, wo ich denn die Notizen von letzter Woche hingespeichert habe, haben die ihr Skript schon in den Klassenchat gestellt. Und zwar das von der Veranstaltung, die noch gar nicht stattgefunden hat.
Ich pirsche mich an den weisesten Menschen meiner Herde an und frage Beanie, wie er das so mit dem Scheitern hinkriegt. Ganz gut, meint der, das ist doch so, wie eben nicht jeder einen mögen kann. Häh? frage ich nach. Der Noah in meiner Klasse mag mich nicht so gerne, erklärt mein achtjähriger Sohn. Ich weiß das und ich finde es nicht so schlimm, weil es ja dafür Leute gibt, die mich richtig gerne mögen. Bei Sachen ist das genauso. Manches kann man super und manches eben nicht. Da kann man was dran machen, aber grundsätzlich ändern kann man es nicht. In dem Moment wird unser Gespräch unterbrochen und Dark Vader tänzelt durch unser Blickfeld. Auf ihrem Kopf trägt sie ein Gebilde aus Klorollen und zerschnittenen Cornflakespackungen. Dafür hat sie keine Hosen an. Ja? frage ich. Dies hier sei ihr Bilby Hat und sie beabsichtige ihn nicht nur zur Bilby Hat Parade in der Schule anzuziehen, sondern überhaupt immer. Und überhaupt, ob wir mal schauen könnten, ob ihr Popo sauber sei. Sie hätte gerne selbst nachgeschaut, aber der Hut sei im Weg. Oma habe gesagt, man solle nie mehr als drei Stück Klopapier benutzen und das komme ihr jetzt aber doch wenig vor. Schatz, wie ist das für dich mit Scheitern, will ich von meiner Amazonentochter wissen. Häh? Dark Vader hat meine Frage nicht verstanden, was damit zu tun haben kann, dass sie versucht telepathisch mit Hasi in Kontakt zu treten, der wiederum die Klospülung bedienen soll. Einfach drücken, Hasi! brüllt Dark Vader. Klappt's? Scheitern, Schatz - versuche ich das Kind beim Thema zu halten. Und jetzt Hände waschen, Hasi, befielt Dark Vader. Ich rieche dann gleich mal, ob die auch nach Seife riechen.
Elly lernt sich selbst anzuziehen. Verdammt nochmal, schon wieder Mermaid-Hosen, schimpft Elly, während zum zehnten Mal beide Beine im selben Unterhosenloch gelandet sind. Kauf doch mal andere Unterhosen, Mama, nicht immer diese Mermaid-Hosen, die sind kaputt. Kleiner, pirsche ich mich an den Dreijährigen, wie ist das für dich so mit Scheitern? Super, erklärt Elly, liegt ja nicht an mir, sondern an dir und daran, dass du immer die falschen Hosen kaufst. Jetzt geh weg, ich muss ich anziehen üben.
Scheitert denn in dieser ganzen verdammten Familie niemand außer mir, frage ich mich und entdecke mein nächstes Investigations-Opfer. Baby?! pirsche ich mich an meine Tochter ran, die gerade mit aller Gewalt versucht, Beanie's Hausaufgabenheft in die Sofaritze zu stopfen. Baby, wie ist denn Scheitern so für dich? Meine Tochter schaut mich vernichtend an, watschelt zum Küchenschrank, öffnet die Schranktür, klaut ein Stück Himbeerlakritze und stopft es sich in den Mund. Blublruagdewoöfjh, erklärt sie mir und zeigt mit dem Finger auf die Sofaritze. Dann nimmt sie Beanies Hausaufgabenheft und beginnt, es Seite für Seite zu zerlegen und die einzelnen Fetzen zwischen die Sofakissen zu stecken.
Die Dramatik des Scheiterns ist erlernt. Es ist nicht so, dass wir das schon immer in uns haben. Ich sehe den haarigen Beanie, wie er seinen ersten australischen Freund findet, ich erlebe den Tag, an dem sich Elly ganz alleine anzieht und vor Stolz strahlt, ich höre Baby's erste Worte und sehe, wie Dark Vader ihr erstes Tor schießt. Nichts davon kam einfach so. Ich messe jetzt mal deinen Blutdruck, erkläre ich dem Iren, tu bitte so, als seist du eine schwangere Frau im achten Monat. Der Ire lacht. You'll get there, sagt er.