Monatelang haben wir Häuser angeschaut: alte, neue, schöne und ziemlich hässliche. Haben hoffnungsvoll Ewigkeiten auf Onlineportalen verbracht, uns hypothetisch in virtuelle Häuser verguckt, die sich dann im realen Leben als echte Höllenlöcher entpuppt haben. Haben Stunden und Stunden im Auto zugebracht, gemeinsam mit vier Kindern, Bibi Blocksberg und ziemlich vielen zerknüllten Kaubonbonpapierchen. Und zum Schluß sind wir im Kopf in die Blue Mountains im Westen von Sydney gezogen, in die Einsamkeit von subtropischen Wäldern.
Dann kam der Zeitpunkt näher, an dem meine Mama zurück nach Deutschland musste, wollte, konnte, durfte. Eine Woche vor Abreise weint sie plötzlich abends: Ach, Kind, und jetzt lasse ich euch hier so im Ungewissen zurück! Genau, sage ich, totaler Mist, bleib doch lieber für immer hier. Gerade habe ich nach Unterhosen in unausgepackten Kartons gesucht, denn Elly hat die Nase voll, ständig in Dark Vaders Unterwäsche in die Krippe zu müssen. Die Rüschen, jammert er, die pieken so am Popo! Beschwer dich nicht, empfehle ich ihm, ihr habt alle drei Unterhosen in der Schublade, mehr kriege ich hier nicht unter. Putz lieber besser den Popo ab, denn Bremsstreifenunfälle sind da nicht drin. Kann ich dann auch mal Dark Vaders Partykleid anziehen, erkundigt sich Elly und schaut verträumt. Nee, brüllt es sofort aus der Spielecke, auf keinen Fall. Schade, findet Elly.
Die Lage der Nation ist also misslich: kein Haus, dafür klaustrophobische Zustände, entnervte Eltern und unglückliche Kinder. Müssen wir wegziehen, fragt Beanie? Keine Ahnung, sage ich. Wäre das schlimm? Neu irgendwo sein ist nie schön, spricht es unter lange Haaren hervor. Ich weiß, Schatz. Mehr fällt mir aber auch nicht mehr ein.
Heute abend versuchen wir, ein Haus zu kaufen, erkläre ich den Kindern eines Tages. Ja, sagt Elly, im Supermarkt? Nee, in einer Auktion, erkläre ich. Da kommen viele Leute, von denen man vorher nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt und alle kriegen ein Stück Papier. Wer das Haus will, hält sein Papier hoch und sagt eine Zahl, wobei man am besten so tut, als ginge es um nichts und am Ende hat irgendwer ein Haus und alle anderen schlechte Laune. Klingt gut, sagt Beanie, da gehe ich mit. Und nicht nur er. Wie immer ein paar Minuten zu spät laufen der Ire, Oma, Opa (mittlerweile zur moralischen Unterstützung ebenfalls aus Deutschland angereist) los. Denn das Haus ist in unserem kleinen Dorf oberhalb des Meeres. Ich schmeiße meine Kinder in den Bus und fahre bergauf. Durch rumpelige Straßen, unter knorrigen Riesenbäumen durch, das Meer im Rücken, neben uns und im Herzen irgendwie auch. Das könnte es sein, soviel wissen wir. Ein Haus mit Veranda und Mangobaum, mit Dachschräge, großen Fenstern und einem Garten, in dem an den Ästen eines Baumes eine Schaukel wartet.
Wir parken das Auto und sind vor den Fußgängern da. Das weiße Haus liegt mit seiner Holzfassade da, wie eine weiße Muschel im Grünen. Auf der Straße fährt ein Pulk Kinder Fahrrad, Roller und Rutschauto. Ich denke an mein geheimes Traumhaus an der deutschen Grenze in der Schweiz - an das Haus, das wir nicht gekauft haben, weil wir stattdessen nach Australien gegangen sind und dessen Existenz in meinem Leben bis heute fehlt. Ich zieh hier ein, sagt Elly. Das Baby watschelt schon durch den Vorgarten, wie ein kugelbäuchiger Troll, der unter einem Busch rausgekommen ist. In ihrem Haar hängt bereits eine Frangipani-Blüte. Ich habe den Kindern auf dem Weg erklärt, dass ich das Bieten für uns übernehmen werde. Weil ich ein sturer Scheißer bin und es nicht aushalten kann, wie hier die starken Männer den Immobilienkram aushandeln, während ich ihnen als Frau dabei den Bizeps streicheln soll. So nicht, Töchter, deklamiere ich. Selbst machen, mutig und kühn sein!
Wir treten ins Haus, die Kinder rennen in den Garten hinterm Haus, nehmen die Schaukel in Beschlag. Fast denke ich, dass wir die Ersten sind, als ich die Frau im Kleid sehe. Mit Block und Stift bewaffnet, wandert sie durch den Garten, macht sich Notizen, schießt Fotos, betrachtet das Haus von allen Seiten. Ich hatte nie gedacht, dass wir die Einzigen sind, die so ein Haus gerne hätten. Aber ich hatte auch nie gedacht, dass ich mir bei Konkurrenz dermaßen ins Hemd machen könnte. Sie schaut kurz meinen Kindern beim Schaukeln zu, geht weiter ins Haus, spricht mit dem Makler, der die Auktion leitet, geht die Treppen hoch und verschwindet aus meinem Blick. Ich betrachte meine Kinder, wie sie rennen und lachen und den ganzen Garten ausfüllen, nach dem sie immer gefragt haben. Und bekomme unglaublich große Angst. Der Ire kommt über den Rasen zu mir. Ich kann nicht bieten, sage ich ihm. Ich kann das nicht. Ich habe Angst. Wenn ich das Haus nicht bekommme, breche ich uns allen das Herz. Du musst das machen! Ah, sagt der Ire, no pressure though! Wir haben doch alles besprochen, sage ich zu ihm. Strategie und so, du schaffst das schon. Es fehlt nur noch, dass ich ihm aufmunternd auf die Schulter klopfe. Was für eine miese Nummer, Edda, sage ich zu mir.
Dark Vader kommt zu mir in voller Montur, Cape, Maske, Glitzerzauberstab. Wann geht es los? Jetzt, Schatz, macht euch bereit. Der Auktionator kommt und ruft die Teilnehmer zusammen. Wir stellen uns auf. Meine Mutter hält es nicht aus und nimmt die beiden Kleinen mit in den Vorgarten. Mein Papa, Beanie, Dark Vader und ich stehen beieinander. Der Ire hält mit aller Kraft seine Bieternummer fest. Und dann geht es wirklich los.
Der Auktionator spricht, ich sehe aus dem Augenwinkel, wie der Ire den Arm hebt, höre seine Stimme. Der Auktionator wird lauter. Ich sehe die Makler ins Innere des Hauses gehen, wo die Eigentümer sitzen. Wieder höre ich den Iren, den Auktionator, den Iren. Ich halte Dark Vaders Hand, sehe, wie sie unter ihrer Maske fest den Auktionator fixiert und den Zauberstab drohend in seine Richtung schwingt. Meine Hand zittert, die meiner Tochter nicht. Wieder höre ich den Iren. Da zieht Dark Vader aus den Falten ihres Capes ihr kleines Portemonnaie und in die Hand des Iren wandern zwei Dollar, Dark Vaders ganzes Taschengeld. Wieder hebt der Ire seine Hand mit der weißen Bieternummer. Und zwei Dollar in bar, erklärt er. Die ganze Nachbarschaft ist gekommen und steht geschlossen im Garten, zwischen Mangobaum, Avocadobaum und dem knorrigen Frangipanibaum, der so wunderschön an der Terrasse entlangwächst und duftet. Der Auktionator wird wieder lauter. Ich halte Dark Vaders Hand umschlossen. Komm schon, denke ich. Komm schon. Da fällt der Hammer.
In einem kleinen Ort oberhalb des Meeres, mit seinen rumpeligen Straßen, dem winzigen Dorfcafé und den alten Bäumen haben wir unser Haus gekauft.