Über Genderfragen bei Kinderkleidung sind wir uns ja alle einig. Es ist wirklich furchtbar, bei der Auswahl von Klamotten und Spielzeug so auf die Farben rosa und hellblau beschränkt zu sein. Für ältere Kinder erweitert sich das Spektrum etwas hin zu lila und grün beziehungsweise knalligen Farben für die Jungen und Pastelltönen für Mädchen. Das war’s dann aber schon mit der Vielfalt. Wir würden unseren Kindern natürlich alles anziehen: den Mädchen grün und rot und blau, den Jungen gelb und rot und lila. Aber das ist mit Aufwand verbunden und nicht immer einfach zu realisieren.
Ebenso einig sind wir uns darüber, dass Mädchen natürlich mit Jungssachen spielen, wild sein, auf Bäume klettern und mit Autos spielen dürfen. Es wird zwar milde belächelt, wenn eine Zweijährige in laute Entzückungsrufe angesichts von Baggern und Traktoren ausbricht, doch es gerät keiner in Panik oder denkt über eine strikte Kehrtwende in der Erziehung nach.
In der Theorie gilt dasselbe für Jungs – sie dürfen genderneutral aufwachsen, weinen, sensibel sein und müssen nicht zwingend Fußball mögen. Aber seien wir mal ganz ehrlich: Praktisch hört der Spaß bei rosa Glitzerlack und den Absatzschuhen von Mutti wirklich auf. Da kommt sogar bei der liberalsten Mama und dem urbansten Papa Unbehagen auf.
Die Gründe dafür sind vielfältig und auch abhängig davon, wo und in welchem Umfeld Kinder aufwachsen. Doch selbst im reflektiertesten Umfeld kann man dieses Unwohlsein beobachten – und ich kann es tatsächlich nachvollziehen. Denn es hat mit den Reaktionen von außen zu tun. Den Reaktionen von anderen Erwachsenen und auch von Kindern. Denn Kinder sind nun mal grausam und scheren sich um Genderfragen einen Dreck. Schon im Kindergarten sagen sie einander, dass Klamotten hässlich und Haare, Haut, Finger oder andere Körperteile ihrer Kindergartenkollegen scheiße aussehen. Sie sagen einander wahlweise „Du siehst nicht aus wie ein Mädchen“ oder „Du siehst ja aus wie ein Mädchen“ und in beiden Fällen ist das kein Kompliment.
Manche Kinder sind robuster. Sie hauen einmal zu und gehen zur Tagesordnung über. Andere ziehen ihre Schlüsse und verweigern für den Rest des Sommers kurze Kleidung, um ihre mangelhaften Arme, Beine, Füße oder sonstigen Körperteile zu verbergen. Das ist für Eltern nicht leicht auszuhalten, für die Kinder noch viel weniger.
Viele Angriffe auf ihre Kinder sind für Eltern nicht vorauszusehen. Denn es ist ja wahllos, wer weswegen zur Zielscheibe wird. Der eine findet blonde Haare mit Locken komisch, die andere findet Locken unerlässlich. Häufig verbirgt sich hinter solchen Angriffen ein anderes Unwohlsein.
Doch in einem sind wir uns einig: Dem Vorwurf, weibisch zu sein, setzen wir unsere Kinder nicht gerne aus. Ihn antizipieren wir lieber und üben dann sanften Druck aus, hin zu nicht allzu glitzernden Kompromissen. Das ist verständlich und in machen Fällen sogar vernünftig. Aber es ist auch schade. Denn von wirklicher Gleichberechtigung von Mädchen und Jungs sind wir damit weit entfernt. Wir beschneiden Jungen in ihrem Ausdruck und nehmen Kindern damit die Einsicht, dass jede/r (fast) alles sein kann, was er oder sie will. Und am Ende wundern wir uns, wenn wir in Stereotypen festhängen, die keiner mehr leiden kann.