Bei uns daheim is love in the air und das hat eigentlich so richtig mit Benjamin Blümchen begonnen.
Jeden Abend wird hier nämlich vor dem Einschlafen Hörbuch gehört und heftig gestritten, wer denn die Folge festlegt. Bei Bekanntgabe stöhnen dann alle Nicht-Aussucher, finden, dass das die langweiligste Folge aller Zeiten sei, blöd und so, dass man vor lauter Verzweiflung gleich einschlafen möchte. Und überhaupt sei heute kein schöner Tag, die eigenen Eltern die Allermiesesten und die Geschwister schlichtweg saudoof. Das Übliche also.
Jetzt allerdings hat Dark Vader ein bahnbrechendes Audiomachwerk entdeckt, das unsere Familie in eine neue Diskurs-Dimension führt: Benjamin Blümchen verliebt sich.
Elly fasst den Inhalt folgendermaßen zusammen: Benjamin verliebt sich in Herrn Humpel, der ein sehr netter Flamingo sei und unter seinem Bett lebe. Dazu muss man allerdings sagen, dass Elly gerne schon während der Titelmelodie einschläft. Es ist also unklar, wie Benjamin und die Liebe zusammenhängen - aber das Thema an sich beschäftigt uns derzeit in vielen Facetten.
Ich persönlich behaupte, dass Kinder mehr über Liebe verstehen als große Menschen. Weil sie nicht in Dimensionen von Geschlecht, Alter, Status, Angemessenheit oder sogar Plausibilität denken. Sie lieben oder eben nicht und wen sie heute für immer lieben, dem hauen sie morgen gepflegt die Sandschaufel auf den Kopf.
Beanie wird eines Tages Dark Vader heiraten, so ungefähr dreissig Kinder bekommen und deswegen einen Doppeldeckerbus als Auto fahren. Er interessiert sich für Mädchen, findet sie aber unverständlich. Sein sehr hilfreicher Vater erklärt ihm, dass sich das auch später nicht verändern wird, man würde sich damit einfach irgendwann abfinden. Beanie erzählt, dass es Mädchen gäbe, die ihn in der großen Pause anschauen und anlächeln und wenn er sich dann mit seiner Lunchbox dazusetzt, würden sie wegrennen. Er fragt uns, ob das mit seinem Essen zusammenhängt und wir können ihm guten Gewissens erklären, dass das nicht der Fall sei. Unser Nachbarsmädchen hingegen hat schon ganz klar die Fühler ausgefahren und so finden wir regelmäßig anonyme Geschenke für den Ältesten: meistens aus Klorollen gebastelte Tiere gefüllt mit Süssigkeiten. Die Anonymität ihrer sehr geschmackvollen Klo-Tiere ist eigentlich auch nur dadurch gefährdet, weil sie stundenlang neben unserem Briefkasten steht und darauf wartet, dass Beanie kommt und nachschaut. Aber die Liebe ist selbst in diesem Alter nicht ganz unkompliziert, denn Linus ist zwar angemessen beeindruckt, macht sich aber vor allem Sorgen um die Abläufe im benachbarten Haushalt: Wieso die denn soviel Klopapier verbrauchen würden?
Dark Vader wird hingegen nie heiraten und will auch keine Kinder haben. Sie will malen und ansonsten ihre Ruhe haben. Wer an dieser Stelle nicht lacht, hat mein Kind schlichtweg noch nicht erlebt. Denn Ruhe ist vor allem da, wo Dark Vader gerade nicht ist. Dark Vader liebt Mädchen und Jungs gleichermaßen und erkundigt sich, ob man denn zwingend einen Jungen heiraten muss, denn die seien seltsam und wollen immer Feuerwehr und Polizei spielen. Wir können sie auch hier beruhigen und sagen, dass sie heiraten könne, wen sie wolle. Und auch, dass sich das mit der Feuerwehr irgendwann beruhige. Elly möchte etwas zu diesem Gespräch beitragen und erklärt, er spiele nie Feuerwehr, sondern am liebsten "Familie". Aber nur, wenn er die Oma sein dürfe.
Elly liebt alle und alles: Das Leben, seine Bärenfamilie, die Welt, seine Waldspielgruppe und seinen legendären Freund "Pilz" - ganz besonders aber die Tochter seiner Waldspielgruppenleiterin. Die sei der schönste Mensch der Welt, hätte auch viel mehr als andere Menschen und deswegen sei sie reich. Außerdem würde niemand so schön durch die Beeren stampfen wie sie. Das gefällt ihm. Wir lieben das liebende Herz unseres kleinen Sohns und finden, dass Extra-Chromosomen als Reichtum locker durchgehen.
Und wir? Die Großen, meine ich. Was bedeutet Liebe für uns, wenn doch die Tage so angefüllt sind mit wickeln und kochen und aufräumen und arbeiten und rumfahren und Pflaster kleben, Hausaufgaben kontrollieren, Kuchen backen, Mehlmotten niederringen, Tomatenpflanzen gießen, Staub saugen, Socken sortieren, manchmal schimpfen, oft fluchen, selten weinen. Was macht die Liebe, wenn man sie behutsam trennen muss von der ganzen Körperlichkeit des Elternseins.
Ich denke an meinen vergangenen Geburtstag und daran, dass ich nach vielen Jahren zum ersten Mal keine Nachricht von jemandem bekommen habe, der mir sonst immer geschrieben hat. Und dass mich das an die Gefühle eines Ichs erinnert hat, das ich mal war, bevor ich ins Kinder-Autositz-Origami eingestiegen bin.
Und ich denke daran, dass mir meine liebste Freundin so schmerzlich fehlt, dass es sich anfühlt wie Liebeskummer. Dass ich ihr schreiben muss und zu selten die Zeit finde und darunter leide. Wenn ich könnte, würde ich mich hundert Jahre lang neben sie auf eine Strandtreppe setzen und Lakritze essen. Und entweder nichts sagen - oder darüber lachen, dass ihr wunderbarer Mann Lakritze für das Ekligste überhaupt hält.
Und ich denke an den Iren, der mir seit fast zehn Jahren beharrlich und kontinuierlich immer dann ungefragt die Hand hinhält, wenn ich sie brauche: an Gräbern, während Geburten, an ersten und letzten Arbeitstagen, wenn die Nacht am Dunkelsten ist und die Gedanken am Lautesten.
Ich denke an meinen Papa, in dessen Umarmung mein Seelenfrieden liegt und an meine Mama, neben der ich auch nach 38 Jahren noch immer hervorragend schlafe, weil ich weiß, dass für die Dauer einer Nacht heimlich die Weltherrschaft von ihr übernommen wird und nichts, aber auch garnichts passieren kann.
Meine Kinder haben recht: Es ist so schön, wenn man liebt und zurückgeliebt wird. Und wenn morgen was passiert, kann man noch immer mit der Sandschaufel zurückschlagen.