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Tanz den Horst

von Edda

Die CSU inspiriert den durchschnittlich vernunftbegabten Mensch ja eher selten. Also eigentlich: nie. Und doch schaue ich mir das Auftreten von Horst Seehofer an und denke, dass man das durchaus so machen kann. Also mit Vollgas mal jedem vors Knie treten und dann einfach im Brustton der Überzeugung feststellen, dass das genau das Richtige war. Und man selbst der einzig Wahre und völlig im Recht.

Das ist eine Kunst, soviel steht fest. Und um genau diese Kunst soll es mir heute gehen.

Dabei hat eigentlich alles so harmlos angefangen. Wir mussten zum Zeugnisgespräch des Ältesten antreten, der bekanntlichermaßen genauso intelligent wie pflichtbewusst ist und somit hatten wir die teuren Turnschuhe an und dachten, dass das schon easy-peasy lemon-squeezy werden würde. Wird es ja bei allen Schulgesprächen leider sowieso nie, aber wir waren eben guter Hoffnung. Den Teil mit den super Leistungen und keinen vorhandenen akademischen Problemen hatten wir erwartungsgemäß schnell hinter uns gebracht, als die Lehrerin ihre Notizen zu Rate zog. Beanie, so erfuhren wir, habe leider überhaupt kein Selbstbewußtsein. Er sage seine Meinung nicht und nach dieser explizit gefragt, würde er nicht antworten. Er würde für seine Interessen nicht eintreten und man könne sich nicht sichern sein, was er so denke.
Für meinungsstarke Eltern wie uns war das ein ziemlicher Schuß vor den Bug. Man möchte doch immer, dass die eigenen Kinder selbstbewusst mit nichts hinterm Berg halten, lieber austeilen als einstecken, lautstark Diskussionen lostreten, dieses ganze sozialromantische Zeug eben. Keiner will der Erzeuger des Knochen-Knies sein, dass die Zähne nicht auseinanderbekommt, obwohl ja derzeit genug Lücken drin sind.
Also sind wir auf unseren super Turnschuhen nach hause gelaufen und haben überlegt, was wir denn zur Hölle mit dem Nachwuchs tun, der zu hause wegen jedem Pups diskutiert, sich offensichtlich aber in der außerhäusischen Welt unterm Tisch versteckt.


Was das denn soll, frage ich den Sohn. Wieso er denn nicht seine Meinung vertreten können und wenn nicht er es tue, wer denn bitte dann? Mein Sohn macht, was man in solchen Situationen dann eben so macht und verlässt erstmal das Zimmer. Ich bin aber nicht bereit, das Thema einfach ziehen zu lassen und setze sowohl verbal als auch räumlich nach. Er würde uns doch daheim seine Meinung oft mitteilen, was denn das Problem woanders sei. Beanie's Erklärung allerdings leuchtet mir ein: Die eigene Familie sei was anderes, denn da wüsste man, dass sie einen mögen - egal, was man sage. Und bei den anderen Leuten könne man sich da nicht sicher sein. Vielleicht sagt man da seine Meinung und dann mag einen keiner mehr und alle sind weg.

Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten, die mir einfallen: Erstens, ich kann zu Beanie sagen, dass er doch mal den Horst machen soll. Einfach draufhauen und schauen, was dann passiert. Im Zweifel passiert weniger Schlimmes, als man gedacht hat, denn die Menschen verwechseln Krakeeler ja noch immer gerne mit Führungspersönlichkeiten. Oder ich überprüfe das, was ich unter Selbstbewusstsein verstehe und gebe meinem Kind den Platz, den es braucht. Es gibt diesen guten Ratschlag zum Loslassen (irgendwo gelesen, kann aber keine Quelle mehr benennen), nachdem man sein Kind auf dem Spielplatz auch mal an die Kletterwand gehen lassen soll und sich dann einfach umdreht, die Augen schließt und bis zwanzig zählt. Denn: Wo hört Fürsorge auf und fängt Übergriffigkeit an. Und wenn das beim Klettern wahr ist, wieso nicht auch, wenn es um die eigenen Interessen geht. Umdrehen, Durchatmen, Augen zu. Unsere Kinder werden nicht stark, weil wir vermeintliche Stärke von ihnen einfordern. Sondern, weil wir sie gut finden. Und zwar mit allem, was sie mitbringen. Liebe ist ja keine Belohnung und eignet sich null, um gewünschtes Verhalten zu verstärken. Sondern sie ist Vorschußlorbeer reinster Güte. Also der Siegerkranz lange bevor das Rennen überhaupt angefangen hat.

Ich lasse das Kind laufen und es geht erstmal runter und stört seine Geschwister, die unten "Familie" spielen. Ich höre Elly am Windeleimerdeckel schrauben und mit verstellter Stimme sagen, dass das Kohlrabi sei und sehr gesund und man solle sich doch nicht so anstellen. Dark Vader singt in etwas, was sie für Schweizerdeutsch hält, aber genauso gut Kirgisisch sein könnte. Und mittendrin hört man immer mal Beanie, der von der Fußballweltmeisterschaft erzählt und seine Panini-Bilder sortiert.

Wieso, denke ich, erwartet man beim Thema Selbstbewußtsein überhaupt, dass einer lautstark vorneweg ist. Es geht um das eigene Selbst und um Bewußtsein. Zu wissen, wer man ist und was man will und dass beides Berechtigung hat. Das Kind mit den knochigen Knien weiß ziemlich genau, wer er ist und was er will. Er mag es noch nicht sagen können, aber spüren kann er es genau.

Elternsein ist nicht leicht, denke ich. Dann drehe ich mich um, schließe die Augen und zähle bis zwanzig.