Wann kommt denn endlich das Baby, will Beanie wissen. Was weiß ich, erwidere ich und bin genervt, weil ich seit zwei Wochen jeden Morgen mit der Frage geweckt werde, ob denn das Baby da ist. Wie man aufgrund optisch einfach erkennbarer Merkmale feststellen kann, ist das auch heute Morgen nicht der Fall. Da ist es zwar schon, aber eben noch im verpackten Zustand. Allerdings nerven nicht nur meine Kinder. Jede nächtliche Aktivität (Umdrehen, Klogänge, lautes Atmen) zieht eine Frage des Iren nach sich, ob es jetzt losgehe. Ob das Baby eventuell auf die Ankunft meiner Eltern (aka Super-Oma und Helden-Opa) wartet, fragt die Hebamme. Nee, sage ich pampig, wir Eckhardts warten nicht, wir machen einfach. Und weil wir Eckhardts nie warten, landen meine Eltern Buschfeuern, gefährlichen Tieren und 23 Stunden Anreise zum Trotz in Sydney. Vorher verschiebt sich noch eben schnell ihr Flug um einen halben Tag. Super-Oma und Helden-Opa schlagen eine breite Schneise in unseren Tag: Reiswaffeln und kiloweise Maisnudeln werden aus Koffern gezogen, dazu deutsche Kinderbücher, Puddingpulver, Lakritzschnecken. Ich kann Dir keine Unterhosen ausleihen, erkläre ich meinem Papa, die gehen alle langsam kaputt irgendwie. Ach was, winkt mein Papa ab, wer braucht schon Unterhosen!
Wir gehen zum Strand, verkünde ich meinen Eltern nach dem Auspacken. Das ist gut fürs Gemüt, den Tatendrang der Kinder und hilft gegen Jetlag. Ich lade vier Kinder und zwei Großeltern in den total sandigen Bus. Aber dann ist mir komisch. Ich kann nicht gehen, sage ich dem Iren, der zu hause arbeitet. Kannst Du? Mann, schimpft der, ich muss doch arbeiten. Ich kann nicht, sage ich. Also fährt der arme Ire los. Als die Tür hinter meiner ganzen Familie zufällt, ist es so still im Haus. Und dann kommt die erste Wehe angerollt. Ich laufe ein bißchen hin und her und fühle die Stille um mich herum. Dann stelle ich mir vor, wie ich Paul anrufe, der gerade am Strand vier Kinder, zwei Surfbretter, vier Taschen und zwei Großeltern ausgeladen hat und denke, dass man das auch erstmal lassen kann. Stattdessen rufe ich meine Hebamme an. Ob sie kommen solle, fragt sie. Och, doch, sage ich, wäre vielleicht gut. Sie brauche 1.5 Stunden Fahrtzeit, meine zweite Hebamme braucht 40 Minuten. Beide kämen jetzt. Ok, sage ich und lege auf. Dann bin ich allein. Ich packe eine Geburtskiste und einen Stapel mit Handtüchern aus, schalte den Ofen auf 60 Grad Ober- und Unterhitze und lege Handtücher rein. Dann stehe ich unschlüssig rum, während die Wehen um mich herum branden. Ich mache die Geburtskiste auf und nehme Abdeckfolie raus. Bei der letzten Geburt hat meine Mama zwei Tage lang Blut aus der Couch geschrubbt - diesmal bin ich vorbereitet. Ich decke die Couch ab, auf der zwei meiner Kinder zur Welt gekommen sind. Der Ire hat sie extra verschoben, bis ich zufrieden bin, hat Möbel umgeräumt, noch schnell die Backsteinwand versiegelt, damit man das Sofa gemütlich direkt davor stellen kann. Ich aber finde keine Ruhe und gehe ins Obergeschoss. Hier ist es enger, weniger Platz, dunkler. Es ist kurz nach 13 Uhr.
Jede Geburt kommt irgendwann an dem Punkt an, wo man denkt, dass das hier nicht schaffbar ist. Wo der Schmerz so groß ist, dass man gerne aussteigen möchte, zurück auf Start. Ich laufe auf und ab. Die Zeit bewegt sich überhaupt nicht. Dann stehe ich auf dieser schmalen Brücke, die jede Geburt darstellt und wo niemand mehr neben mir Platz hat. Auf der anderen Seite steht mein Kind, von dem ich noch nichts weiß: Geschlecht, genetische Abklärung, Ultraschalluntersuchungen (außer der einen medizinisch relevanten) haben diesmal keinen Platz auf meiner Reise gefunden. Ich fühle diesem einen Moment entgegen, an dem ich meinen toten Kindern begegnen darf. Irgendwo zwischen großem Schmerz und Körpergedächtnis halte ich sie noch einmal kurz im Arm. Ihr fehlt mir, denke ich. Dann knallt unten die Haustür auf: Mama, röhrt Dark Vaders Sirene durch das Haus. Schick den Papa, brülle ich. Der Ire kommt. Und dann kommt unser Baby. Kopf ist da, kommandiere ich, wie ich es im Studium gelernt habe. Handtuch! Der Ire, sonst nicht gerade der Nervenstärkste, geht kommentarlos in die Küche. Der Körper folgt, der erste Schrei. Ich hebe mein Kind hoch. Der Ire kommt mit warmen Handtüchern. Irgendwann stehen meine Eltern und Kinder im Zimmer. Gut, dass ich auch unser Bett mit Plastikfolie abgedeckt habe, denke ich. Ich konnte nicht anrufen, sage ich. Der Ire seufzt. Schau doch mal, was wir gekriegt haben, sage ich ihm. Im Schlafzimmer stehen im Halbkreis die Menschen, die mein Leben am Laufen und mein Herz in der Hand halten.
An den Northern Beaches bei Sydney ist um 14:50 ein kleines Mädchen zur Welt gekommen. Meine fünfte Tochter, mein siebtes Kind. Willkommen, denke ich.