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Die Bären und die Vergänglichkeit

Von Irina

„Soll ein Bär kommen?“, frage ich das müde Kind. Frau Buff schüttelt heftig den Kopf. „Aber warum denn nicht“, frage ich. „Wenn man schon Angst hat im fremden Bett.“ Das Kind bricht in Tränen aus. „Weil die Bären in die Klinik müssen. Sie sind ganz kaputt!“ Aha, die Bärenklinik. Frau Buff hat vier Teddybären, die zunehmend Gebrauchsspuren aufweisen und deshalb geschont werden müssen. Sie sollen sie schließlich ihr Leben lang begleiten, und wie bitte soll das gehen, wenn sie jetzt schon verschlissen sind?

„Sollen wir Herrn Bert nachkaufen?“, frage ich vorsichtig? „Neiiiin“, jammert es laut auf. „Dann muss ich mein Zimmer und alles wieder umräumen, weil der neue Herr Bert das ja alles nicht miterlebt hat.“ Oha, denke ich. Hier geht’s um einen größeren Kontext.

Die Bären sind Frau Buffs Hauptkuscheltiere und jeder von ihnen hat kleinere Macken: Herr Bert macht täglich Gurkenmasken, um frisch zu bleiben, Niklaus hält mit sich selbst Teekränzchen ab, Rudi schaut gerne Fußball und isst dazu Chips, Charly packt für Reisen immer das halbe Haus ein. „Und wenn ein Einhorn ins Bett kommt?“, versuche ich es erneut. „Neeiiin“, kommt es noch lauter. „Bella ist auch schon am Hals kaputt.“ I see…

Geht’s hier nur um die Bären, Vergänglichkeit im Allgemeinen oder doch um etwas viel Konkreteres? Das Thema begleitet uns schon eine Weile. Ich habe mich nach Bärenkliniken umgeschaut, die Reparaturarbeiten anbieten. Doch immer, wenn es losgehen sollte, heulte das Kind, was denn sei, wenn die Bären dann zu steif, zu voll, kaputt oder irgendwie anders als gewünscht zurückkämen.

Vergänglichkeit also. Davon hatten wir in letzter Zeit eine Menge. Allen voran die Vergänglichkeit von Zähnen - denen meines Mannes, um genau zu sein. Der hatte nicht nur monatelang eine semi-erfolgreiche Wurzelbehandlung, bei der er alle Stadien von totaler Zahnarzt-Phobie bis zu vollkommener Akzeptanz von Zahnarzt-Behandlungen durchlief. Sondern büßte zu Jahresende noch Teile zweier Schneidezähne bei einem Fahrradunfall ein. Sie liegen seither auf dem Feldweg und durchlaufen ihrerseits verschiedene Stadien der Vergänglichkeit. Der Mann kam demoliert an Gesicht, Arm und Fahrrad zurück und verbrachte zwei Wochen krankgeschrieben zu Hause.

Den richtigen Riecher hatte dann aber Claras Onkel. Der mich daran erinnerte, dass der Lieblingsoma eine Operation bevorsteht. Woraufhin mir auffiel, dass ich diesbezüglich ein Gespräch mit Frau Buff führte, das sehr an den Bärendialog erinnert.

„Und wenn sie dann ganz anders aussieht und nicht mehr unsere schiefe Oma ist?“, jammerte sie. „Na ja“, sagte ich. „Schief ist sie erst seit ein oder zwei Jahren. Wir kennen sie ja viel länger gerade.“ Dass das eine unzureichende Antwort war, konnte ich Frau Buffs Gesichtsausdruck entnehmen. Es geht natürlich darum, dass alles alles genauso bleiben soll, wie es ist: Was schief ist, soll schief sein. Was gerade ist, gerade. Zähne im Mund, Bären ausreichend gefüllt, Omas schief, alle an ihrem Platz.

Das ist also unser Thema. Vergänglichkeit. Und dass das schwer ist, kann man ja verstehen. Manchmal ist es traurig, wenn sich Sachen ändern. Vor allem, wenn man die Änderungen nicht bestellt hat. Kinder wollen ihren Kram. Erwachsene im Grunde auch. Sachen, vor allem aber Menschen werden älter, verändern sich und das ist schwer auszuhalten. Punkt. Das ist eine der Kröten, die wir schlucken müssen.

Anders als bei den Bären kann man da kein Pflaster draufkleben, man muss es einfach aushalten. Und je besser man lernt, Sachen mal auszuhalten, ohne Schoko und Ablenkung und Schönreden und Aktionismus, desto besser kommt man später im Leben klar. Was zugegebenermaßen keine leichte Aufgabe ist. Dafür eine wiederkehrende.

Was die Bären angeht, haben wir einen Weg aus dem Dilemma gefunden. Herr Bert wird die Vorhut bilden. Zusammen mit einem Brief, der erklärt, wie genau und an welchen Stellen man ihn auffüllen soll, schicken wir ihn in eine Bärenklinik. Das wird ihn nicht wieder neu machen. Aber gut polstern für zukünftige Herausforderungen, so dass er vielleicht nicht ganz so viele Gurkenmasken braucht, um dem Leben standzuhalten. Wir werden sehen.