Knock Knock. Who's there? Mama. Mama who? Mama who can't get in the house anymore.
Man fragt sich ja wirklich, wieviel Biomüll sieben Leute produzieren können und das trotz zweifacher Wurmfarm. Brav trage ich meine abbaubare Bio-Mülltüte aus Maisstärke zur Biotonne und fluche fast nicht, während mir die vermischten Abfallsäfte durch die poröse Tüte suppen und über meine Hand laufen. In Australien wird es Herbst und ein frischer Wind bläst vom Meer her, schließt die Windfinger um meine Haustür und schlägt sie zu.
Im Haus: Mimimi (3) und das schlafende Baby (1). Und mein Hausschlüssel.
Mist, denke ich. Ganz großer Mist.
Schnell überschlage ich meine Möglichkeiten und entscheide mich, dass es Zeit für meine dreijährige Tochter ist, möglicherweise einmal Kooperationsbereitschaft zu zeigen. Die Abfalltüte platscht in die Tonne und ich gehe zur Haustür zurück. Immerhin ist das Baby erst vor einer Stunde eingeschlafen, es ist also nicht damit zu rechnen, dass sie direkt jetzt sofort losröhrt. Andererseits, egal. Die Tür muss auf, ich rein und Mimimi wird das hinkriegen. Man sagt doch immer, dass Kleinkinder aus Großfamilien total abgekocht sind - jetzt kann Mimimi mal zeigen, was sie so draufhat.
Mimimi, ich klopfe an die Haustür und rufe, Mimimi, komm mal zur Tür. Um die Ecke schiebt sich ein Mädchenkopf mit dicken Backen und zwei vom Kopf abstehenden Zöpfen. Jaaahaaaaa, ruft sie. Mimimi, ich hab mich ausgeschlossen, könntest du bitte die Haustür aufmachen? Das kleine runde Mädchen betrachtet mich mißtrauisch durch die schmale Glasscheibe neben der Eingangstür. Die Mama hat gesagt, ich darf die Haustür nie aufmachen, erklärt sie mit fester Stimme. Schatz, sage ich und versuche so zu klingen, als sei ich nicht sehr angespannt, ich bin doch die Mama und ich sage, mach bitte die Haustür auf. Niiihiiieeee aufmaaaahaaaachen, singt Mimimi und enthoppelt meinem Blickfeld. Toll, denke ich, das läuft ja super.
Super läuft es auch für Beanie, der wie jedes Jahr beim schulinternen Schwimmwettbewerb mitmacht. Er wird nämlich Letzter. Genau wie letztes Jahr. Ich bin erst ganz zum Schluß angekommen, verkündet er nach der Schule. Ach so, ja, sage ich, macht das was? Nee, sagt das Kind, ich bin nämlich ca eine Minute weniger Letzter geworden. Letztes Jahr waren alle schon abgetrocknet, als ich angeschwommen kam. Dieses Jahr waren immerhin noch zwei Kinder im Wasser. Toll, sage ich, wenn du so weitermachst, wirst du mit 80 Jahren Olympiasieger. Für ein Kind, das so unwahrscheinlich ungerne verliert, ist er sehr entspannt. Wieso weinst und schreist du denn nicht, frage ich ihn. Weil ich ja wusste, dass ich verliere, entgegnet mein Sohn - aber ich wollte mitmachen, weil verlieren ja kein guter Grund ist, das nicht zu tun.
Es ist alles eine Frage der Einstellung, erinnere ich mich und hole mich damit wieder zurück in die Gegenwart. Und die Gegenwart ist zugig und mit einer verschlossenen Haustür vor der Nase. Mimimi, rufe ich, komm doch nochmal. Ich bin auf dem Klo, ruft es von drinnen, warte mal, ich muss noch fertigdrücken. Dann kommt ein lautes HHHNNNNNGGGGGGHHHH, dann Klospülung, dann kommt meine Tochter um die Ecke. Du hast die Hände nicht gewaschen, platzt es aus mir raus, das hab ich ganz genau nämlich nicht gehört. Mimimis Blick lasert durch die Haustür und fast denke ich, sie hätte damit mein Problem gelöst, aber so intensiv schaut nicht mal sie. Kleine, versuche ich gute Stimmung zu machen, mach doch bitte die Tür auf, denn ich habe mich ausgeschlossen und du würdest mir so helfen. Na gut, sagt das Mädchen, stellt sich auf die Zehenspitzen und versucht, mit ihrem kurzen Arm das Sicherheitsschloss zu erreichen. Geht nicht, sagte sie, zuckt mit den Schultern und hüpft wieder weg. Ich atme durch. Mimimi, rufe ich, könntest du mal einen Hocker holen? Schau mal, hier neben der Tür steht die Skateboard-Bank, auf der du immer die Schuhe anziehst. Nimm doch die! Dann passiert minutenlang nichts. Mimimi, versuche ich, mich in Erinnerung zu rufen, doch da höre ich entferntes Rummsen. Wart mal, Mama, ruft sie und ächzt. Dann wird unsere Küchensitzbank in Zeitlupentempo um die Ecke geschoben. Aus Sicherheitsgründen hat sich Mimimi einen Bauarbeiterhelm aus der Verkleidungskiste aufgesetzt. Die Bank kratzt über unser Parkett und ich kann die zentimeterdicke Kratzspur von hier aus sehen. Neben der Tür steht, na, egal, sage ich. Mimimi schiebt die Bank bis direkt vor die Haustür. So kannst du die Tür nicht aufmachen, Schatz, presse ich mühsam fröhlich durch die Zähne. Mimimi ruckt den Bauarbeiterhelm zurecht und erklettert die Sitzbank. Dann sehe ich, wie ihr kleiner Arm am Sicherheitsschloss rummurkst. Drehen, Schatz, sage ich. Drehen. Nein, drehen. Genau, und jetzt drehen. Die andere Richtung. Drehen. Geht nicht, Mama, erklärt Mimimi tiefenentspannt, kann ich einen Schokokeks? Und mit diesen Worten hüpft sie Richtung Küche. Mir tun vom Hocken schon die Knie weh und ich setze mich auf die Stufe vor der Haustür.
Kampfgeist ist in meiner Herde sehr unterschiedlich verteilt. Jetzt, wo Beanie so irgendwie keinen Einstieg in sein Fußballteam findet, wäre es doch mal Zeit für einen neuen Sport. Mach doch mal Kampfsport, schlage ich vor. Das macht bestimmt Spaß. Toll, ruft Dark Vader, klingt gut. Haaaiiiiaaaa, ruft sie und tritt mit Anlauf gegen meine neue Küchenschranktür. Ach nee, murmelt Beanie, danke - aber da tue ich mir bestimmt nur weh. Dann schiebt er bedächtig ein Puzzleteil in sein 2000 Teile Puzzle, das nur aus beigen Flächen zu bestehen scheint. Kampf klingt immer gleich so gefährlich, stellt er fest, ich muss immer weinen, wenn jemand kämpft. Quatsch, brüllt von hinten seine kleine Schwester, ich geh da mit: ich haue vorne zu und du denkst sie von hinten ohnmächtig.
So komme ich nie ins Haus, überlege ich mir und verfluche die Tatsache, dass wir nirgendwo einen Schlüssel hinterlegt haben. Und mittlerweile zerrt die Ungeduld an mir, wie ein armer alter Kettenhund. Mimimi, brülle ich durch den Briefkastenschlitz in der Tür. Did you lock yourself out, höre ich da hinter mir eine Stimme und sehe unsere Nachbarin von gegenüber auf der Veranda stehen. All good, sage ich, verpiss dich bloß schnell, denke ich. My daughter can handle that, rufe ich über die Schulter - bloß keinen Blickkontakt aufnehmen, sonst redet die sofort los. Why doesn't your daughter hand you the key through the mailbox, schlägt unsere sehr neugierige Nachbarin vor, I can sort of guide her ... All good, knirsche ich derart unfreundlich, dass es mir hinterher peinlich ist, I got this. Als sich unsere Nachbarin rückwärts laufend im Schneckentempo entfernt, wird mir klar, dass das keine doofe Idee ist. Bedanke tue ich mich trotzdem nicht. Blöde Nuss, hätte ja auch echt daheim bleiben können. Miiimiiii, tschilpe ich nach meiner Tochter. Ich hab zu tun, Mama, kommt es von drinnen. Nur kurz, Schatz, sage ich ich. Kletter doch nochmal auf die Bank und schau in der Schublade nach einem einzelnen Schlüssel an einer Kordel. Wart mal, sagt Mimimi, erst Helm aufziehen. Jaha, sage ich und beziehe Posten mit einem Auge am Briefkastenschlitz. Mimi klettert minutenlang umständlich auf die Bank, was dadurch erschwert wird, dass ihr der Bauarbeiterhelm ständig in die Augen rutscht. Sie zieht die Schublade auf und eine kleine Lupe aus der Tasche. Ich lupe, begleitet sie ihr Tun wie ein Sportreporter, in die Schublade und ich sehe ... ! Eine Kordel, helfe ich ihr, eine Kordel und dran ein Schlüssel. Gleich ist die Tür auf, denke ich. Kein doofer Einfall von unserer nervigen Nachbarin, wäre ich aber sicherlich sofort selber draufgekommen. Tadaaaaaaa, triumphiert das Mädchen und hält den Autoschlüsse des Iren in der Hand. Ein Schlüssel, ich stecke praktisch im Briefkastenschlitz, an einer Kordel. Was ist denn eine Kordel, fragt Mimimi. Sauerstoffzelt, denke ich, was ist denn mit den Kindern von heute los. Ich hab's, ruft das Mädchen glücklich. Tadaaaaa! In ihrer Hand hält sie einen uralten Schlüsselbund mit mindestens zehn Schlüsseln. Aber ohne Kordel.
Dabei ist Glück Dauergast in unserem Haus. Schau mal, Mama, ruft Dark Vader begeistert und zieht ein Stück mumifizierte Salatgurke aus ihrem rechten Gummistiefel. Also bitte, sage ich, wie gruselig. Nein, Dark Vader strahlt, jetzt stell dir doch mal vor, das wäre eine alte Erdbeere gewesen .. aber nein, es ist nur Gurke. Was für ein Glück. Ich überlege noch, ob es sich lohnt, den Tathergang zu ermitteln, aber da kommt Elly um die Ecke. Ich sammele die Miete für diese Woche ein, ruft er. Dark Vader und Beanie kramen bereitwillig ihre Taschengeldbeutel raus und drücken ihrem kleinen Bruder jeweils einen Dollar in die Hand. Was passiert hier, frage ich, und will ich das wirklich wissen? Ich passe gegen Geld auf die Edelsteine von Dark Vader und Beanie auf, erklärt Elly ernsthaft und seine Sommersprossen tanzen über seine Nase, und immer am Samstag lutsche ich sie einmal ab. Mit Glücksspucke.
Und während ich über Glück nachdenke, kommt mir eine Idee. Leider bin ich mittlerweile müde und muss aufs Klos und bevor ich nachdenke, motze ich durch den Briefkastenschlitz: Mimimi!. Die kommt auch um die Ecke getrottet, man sieht ihr aber an, dass ihr das mittlerweile auch keine Spaß mehr macht. Hol doch mal meine Handtasche von meinem Schreibtisch und da ist mein Schlüssel drin. Los jetzt, meckere ich, weil es mir echt reicht. Sag Please, Mama, erzieht mich meine dreijährige Tochter. Ich lehne den Kopf gegen die Tür, nur ganz kurz. Bitte, sage ich, bitte liebe Mimimi. Das Mädchen verschwindet. Als sie um die Ecke kommt, zerrt sie meine gefühlt 1m x 1m große Uni-Tasche hinter sich her. Ein sehr mulmiges Gefühl in der Magengrube sagt mir, dass das jetzt nicht einfach wird. Der Schlüssel ist in der Innentasche, sage ich. Rechts, innen. Du lässt deine Hand über der Tasche kreisen und ich sage warm, kalt oder zuschnappen. Daraufhin lässt Mimimi ihre Hand mit einer Geschwindigkeit über der Tasche kreisen, dass mir - noch immer durch den Briefkastenschlitz spähend - schwindlig wird. Warm, kalt, warm, warm, wärmer, zuschnappen, versuche ich mein Glück und denke, dass Elly vielleicht meinen Schlüssel mal besser auch mit Glücksspucke behandelt hätte. Mimimi angelt nacheinander Taschentücher, mein Mäppchen, ein Miniatur-Becken, Handdesinfektionsmittel, meinen Schließfachschlüssel und eine Tüte Nimm2. Kann ich ein Bonbon, fragt sie. Nein, sage ich, wenn du nämlich jetzt ersticken möchtest, sitze ich hier vor der Tür und muss dir dabei zuschauen. Da reicht es ihr. Ich hab keine Lust mehr, brüllt sie, mach mal alleine weiter. Dann geht das kleine Mädchen, das ja wirklich heute alles gegeben hat.
Kann mir jemand helfen, frage ich das Universum. Bitte. Kann mir bitte jemand helfen. Und ich wünsche mir, dass eine mächtige Stimme analog zu Supermärkten durch die universale Lautsprechanlage ruft, dass die kleine Edda bitte von der verschlossenen Haustür abgeholt werden möchte. Klappt leider nicht. Da beschließe ich, über unser eigenes Gartentor zu klettern, was erstens ziemlich hoch ist und zweitens von einem morschen Gartenzaun gehalten wird. Hält meine Glückssträhne an, kollabiert der Gartenzaun unter mir und ich falle ins Nachbargrundstück. Im Anmarsch aufs Gartentor ziehe ich schonmal die Jeans aus, damit sie bei meinem anstehenden Circus Roncalli Auftritt nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.
Dabei steht die Gartentür offen.
Fassungslos trete ich hindurch und gehe ums Haus.
Als ich von hinten durch die Küche komme, sitzen Mimimi und ihr Teddybär mit einer Schachtel Schokokekse vor dem mit Plastikgeschirr gedeckten Esstisch. Die Sitzbank haben sie diesmal an den Küchenschrank mit den Keksen geschoben.
Mama, freut sich Mimimi, wo warst du denn die ganze Zeit. Und wieso hast du nur eine Unterhose an?