Der Helden-Opa reist ab und das Baby wird einen Monat alt. Ich stehe fassungslos im Gästezimmer und versuche zu begreifen, warum es hier so leer ist. Einen Monat lang haben vier Große, vier Kleine und ein Winzling gemeinsam in einem Haus gewohnt, zusammen mit der gelegentlichen Kakerlake, Moskitos und vielen Ameisen. Und in diese neue, große Leere hinein stirbt Albus Dumbledore. Ich bin ein großer Harry Potter Liebhaber, genau wie meine Mama und, seit einigen Jahren nun schon, meine Kinder. An den meisten Abenden liest der Ire die englische Fassung für Beanie, Dark Vader, mich, Elly (wenn der mag) und selbst Mimimi,wenn die nicht gelangweilt wegrennt und dabei nervige Fanfarentöne ausstößt. Selbst das Baby liegt ruhig auf meinen Beinen und grunzt konzentriert. Dass Dumbledore sterben würde, weiss ich natürlich, fürchte diesen Moment aber, seit wir mit der Lektüre angefangen haben. Vielleicht, weil ich mich sehr gut daran erinnern kann, wie ich selbst vor Jahren laut weinend mein Buch in die Ecke geschmissen und geschworen habe, ich würde es nicht fertiglesen. Ohne Dumbledore kein Hogwarts!
Die Begeisterung für den Lemon Sherbet-Liebhaber teilen mein ältester Sohn und ich. Doch während Beanie sich wünscht, dass es so einen Dumbledore auch in seinem Leben gibt, liegt der Fall bei mir anders: So will ich gerne auch sein - im Zweifel selbst mit Bart, vor allem aber weise und mutig und im Einklang mit mir, meinen Fehlern, Fähigkeiten und Unzulänglichkeiten. Und weil ich gerne Projekte habe, gehe ich dieses dann auch einfach mal an. Als die Kinder am nächsten Tag aus der Schule kommen, bin ich schon mitten drin. Was machst Du, Mama, will Dark Vader wissen. Ich denke, murmele ich mit vollem Mund. Und was hast Du im Mund? Memom Merbet, schiebe ich zwischen vollen Backen Richtung Außenwelt. Wieviele denn, interessiert sich Elly, du siehst lustig aus .. fast wie ein Wombat. Vier, würge ich, verlagere Bonbons auf eine Seite und erkläre gewichtig: Viel hilft viel. Und so einen schönen Bademantel hast Du an, Mama, Dark Vader schlägt einen Tonfall an, den sie selbst immer gerne als "weich" bezeichnet, der einem aber eigentlich mehr das Gefühl gibt, man sei geistesschwach und den sie normalerweise bevorzugt bei kleineren Geschwister einsetzt. Das sei meine Robe, was Besseres hätte ich in der Eile nicht gefunden. Dumbledoring! Meine Kinder schauen neutral bis fassungslos. Ich möchte so werden wie Dumbledore und passe im ersten Schritt einfach mal äußere Umstände an, vielleicht folgen die inneren Umstände dann auch, erkläre ich. Dumbledore, Mama, stellt Beanie fest, hat keinen pinken Plüsch-Bademantel mit Katzen an. Alles symbolisch, erwidere ich beleidigt. Lernt ihr das nicht in der Schule? Vier Lemon Sherbets auf einmal essen?, grinst Beanie, nee - eher nicht.
Wer aus Harry Potter wärt ihr denn gerne, wenn ihr das aussuchen könntet, versuche ich das Gespräch in andere Kanäle zu leiten. Fred & George Weasley, sagt Beanie ohne Nachzudenken. Luna Lovegood, erklärt Dark Vader. Dobby, ruft Elly. Peppa Pig, röhrt Mimimi und das Baby gluckst begeistert. Und wer wäre ich, frage ich meine Kinder. Severus Snape, ruft Dark Vader im Brustton der Überzeugung. Bitte?, frage ich. Naja, vielleicht auch Professor McGonagall, besänftigt Beanie die Gemüter. Aha, denke ich, eine Mischung aus dem Oberfiesling und der verkniffenen Moralinstanz, wie schön! Nun kann man ja bekanntlich Kindern weder in den Mund noch in den Kopf legen, was man da gerne haben möchte. Jeder kann Dumbledore sein, sagt Beanie, das ist das Besondere an ihm. Erklär mal, sage ich zu meinem großen Sohn, der hinter seinen langen Haaren verschwindet. Dark Vader ist Dumbledore, wenn sie auf der Straße immer so laut tanzt und singt, weil es ihr egal ist, ob das jemand komisch findet. Elly ist Dumbledore, weil er jeden Menschen und überhaupt Alles mag, erklärt Beanie weiter. Mimimi ist Dumbledore, weil sie davon ausgeht, dass die Welt mit ihr ein besserer Platz ist, es ihr aber auch nichts ausmacht, wenn das nicht der Fall sein sollte - weißt du, was ich meine, Mama? Ja, Schatz, sage ich, red weiter. Das Baby ist Dumbledore, weil sie nach Kuchen riecht und vielleicht auch nach Lemon Sherbets. Der Papa ist Dumbledore, weil er manchmal Sachen nicht weiß und trotzdem immer die richtigen Fragen stellt. Das sind viele Sätze für Beanie, der sonst mit wenig immer möglichst viel sagt und jetzt ist er müde. Kein Mensch kann so sein wie Dumbledore, aber jeder Mensch hat Dumbledore in sich drin, jetzt ist Beanie dann auch wirklich fertig mit Reden. Ja, Schatz, sage ich, lege meine Arme um das Kind und frage mich, wie ein so kleiner Mensch soviel begriffen haben kann. Nur umarmen, nicht küssen, murmelt Beanie in meine Armbeuge. Küsse sind feucht und doof, Umarmungen sind weich und schön. Ok, sage ich. Er wird mir fehlen, flüstert mein Sohn und ich weiß nicht, ob er Dumbledore meint, seinen Opa oder das Kind, das er gar nicht mehr so lange sein wird.