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Dschungelcamp

von Edda

Was essen die denn da, fragt mich der Ire entgeistert. Pürierte Kotzfrucht mit Känguruhhoden und Kuharsch, kann ich jetzt bitte in Ruhe schauen, erkläre ich abschließend und rücke meine Kopfhörer zurecht. Ich schaue nämlich nur mit Kopfhörern fernsehen, damit auch meine Umwelt gleich versteht, dass man mich jetzt nicht stören sollte. Funktioniert zwar nicht, ist aber vom Ansatz her gut gedacht. Heute abend allerdings lässt sich meine Umwelt nicht bremsen: Elly will Conni im Bett hören, nein - Benjamin Blümchen, ach nee - Bibi Blocksberg und zwar die Folge mit der radioaktiven Müllkippe, Dark Vader will Musik und unbedingt die mit dem Bird, jede Anfrage wird begleitet von Fußgetrappel und energischer Lautstärke. Irgendwann platzt mir der Kragen und ich streame John Sinclair und die Teufelsbitch auf Ultraspeed ins Kinderzimmer. 10 Sekunden später heult es laut von oben. So, denke ich mir, wenigstens bin ich nicht mehr als Einzige hier unentspannt. Ich sitze auf unserer uralten Couch und versuche zu essen, während auf meiner Brust das Baby liegt und sich Reiswaffeln auf den Kopf bröseln lässt. Die Tage sind lang, rumpelig und obwohl ich meine Kinder wirklich mag, ist es schön, wenn sie im Bett verschwunden sind. Heute allerdings könnte ich mich in die Mitte eines brennenden Pentagramms setzen und meine Brut ließe sich trotzdem nicht abwehren. Wieso schauen sich das Leute an, versucht der Ire erneut ein Gespräch vom Zaun zu brechen. Und obwohl mich gerade jede Kontaktaufnahme abgrundtief nervt, ist das eine sehr gute Frage. Ich weiß ja nicht, was die anderen Millionen von Zuschauern zum Dschungelcamp hintreibt, aber ich schaue das, weil es ein schönes Gefühl ist, sich mit dem zu beschäftigen, was Deutschland so bewegt. Ja, da könnte ich auch über die Zukunft der SPD nachdenken und tue das durchaus auch ... aber medialer Müll ist nunmal als gemeinsamer Nenner unschlagbar. Fakt ist nämlich, dass das mit der Auswanderei gar nicht so einfach ist. Ich kann mir noch hundertmal die Flip Flops zwischen die Zehen tackern - ich bin Deutsche und keine Australierin und jeder Versuch, diese Tatsache vertuschen zu wollen, wird zwangsläufig in die Lächerlichkeit führen. Ich mag Deutschland, fühle mich meinem Land verbunden und seit mein Nervenkostüm "Tatort" nicht mehr aushält, muss ich mir eben andere Gemeinsamkeiten suchen. Ich denke an diese ganzen Auswanderersendungen aus den Nuller-Jahren, wo ahnungslose Vollpfosten irgendwo auf diesem Planeten Boutiquen eröffnen, nur um dann Schlagersänger auf Mallorca zu werden, oder so. Und daran, dass man ja eigentlich nicht mehr vom Auswandern sprechen kann, möchte man nicht den Eindruck erwecken, man habe mit einem Dartpfeil nach einer Landkarte geworfen und erwarte, dort jetzt das große Glück zu finden. Ohne die Landessprache zu sprechen, wohlgemerkt. Vielleicht hat Auswandern 2.0 ja auch nichts mehr mit dem dauerhaften Verlassen des Heimatlandes zu tun, sondern mehr damit, sich bei Instagram wirkungsvoll an den Stränden dieser Welt im Sand zu wälzen. Ich habe weder von Boutiquen groß Ahnung, noch besitze ich einen Instagram Account. Folglich kann es mit meiner Auswanderer-credibility nicht weit her sein. Ire, können wir nicht Slash & Axl der Auswanderer sein - nur ohne fiese kosmetische Eingriffe und Flechtfrisuren, frage ich den Mensch neben mir auf der Couch. Er wäre lieber der Reiseesel Mallorca, erklärt der Ire und verweist auf seine Lieblingsfigur von Janosch. Außerdem sei es doch so, dass sich Slash & Axl wahrscheinlich nicht jede Woche von der Mama per Post Reiswaffeln aus Deutschland schicken lassen würden. Das wiederum halte ich für einen sehr fiesen Seitenhieb. Ich habe nämlich nicht nur das ungute Gefühl, dass meine Einsetzbarkeit als Schlagersänger auf Mallorca sehr begrenzt-, sondern meine Toleranzschwelle dem Fehlen geliebter Versatzstücke aus Deutschland gering ist. Ich finde die Reiswaffeln in Australien sind nicht Pappkarton-artig genug, die Gummibärchen sind zu süß, Puddingpulver gibt es nicht und die Putzlappen können nichts. Ich bin ein 89 jähriger Rentner in Edda-Verkleidung. Während sich auf dem Fernsehbildschirm ein Dschungelcamp-Teilnehmer Kuh-Anus aus den Zähnen pult, überlege ich mir, wie das wäre, wenn ich, anstatt mich seit Jahren mit Heimweh zu plagen und Reiswaffeln einmal um den Globus verschicken zu lassen, einfach mal dageblieben wäre, wo ich ohnehin hingehöre. Heim, nämlich. Und während der Ire laut überlegt, ob man RTL nicht vorschlagen könne, die Teilnehmer im Rahmen einer Dschungelprüfung unsere Garage aufräumen zu lassen - die Viecher-Dichte sei ja identisch - denke ich an Zuhause und höre dem Baby beim Atmen zu. Warte mal ab, Kleines, denke ich. Warte ab, bis ich dir das Land der Reiswaffeln zeige, wo Haribo auf den Bäumen wächst und man Spaghetti-Eis essen kann. Wo einem die Supermarktkassiererin schlecht gelaunt das Kleingeld hinpfeffert, keiner meine Einkaufstüten packen will, dafür aber das Wetter im Winter mies, im Sommer zu heiß und dazwischen auch scheiße ist. Und wenn du dann irgendwann Schlagersänger auf Mallorca werden willst, Kind, dann sehen wir weiter.