Tschüß, Sonne! sagt Elly, als es mal wieder innerhalb von einer Stunde dunkel wird. Geht die Sonne jetzt zur Oma und zum Opa? Die Sonne geht nicht, sage ich und denke an das Lied von Tomte. Wie hieß das, genau: Die Schönheit der Chance. Während bei uns die Sonne untergeht, gehen in Deutschland die Lichter aus. Und obwohl ich finde, dass das viel zu lange gedauert hat, bin ich traurig. Alles Mist, erkläre ich laut. Ihr wisst gar nicht, was wirkliche Schwierigkeiten sind, das sage ich euch, ereifert sich da Elly und ist sichtlich aufgebracht. Ich sage euch mal, was wirklich schlimm ist, das Kind ist so aufgeregt, dass seine Sommersprossen auf und ab hüpfen. Jetzt schauen wir ihn alle an. Wirklich schlimm ist, dass meine Haifischflosse bei Schultanz nicht auf meinem Kopf sitzen bleibt. Die fällt nämlich immer runter. Und dann bin ich der einzige tanzende Hai ohne Flosse. Ganz, ganz schlimm! Jooaaahhhh, sage ich, im Kopf noch mit knapp 600 Corona-Toten in Deutschland beschäftigt, kann man so sehen. Wieso hält die nicht, erkundigt sich Beanie pragmatisch, mach doch einen Gummi dran. Ich hab zuviele Haare, behauptet Elly, der wirklich außergewöhnlich haarig ist. Die Flosse mag das nicht. Und dann ist da auch soviel los auf dem Kopf, also, unter den Haaren. Läuse, erklärt Beanie altersweise, da will die Mama wieder gleich die Bettwäsche verbrennen. Gedanken, brüllt Elly, die Gedanken drücken die Haare hoch und dann die Flosse runter. Baby Shark doo doo doo di doo doo, singt Mimimi und trägt somit nichts zur Lösung bei. Gummiband, denke ich und dann: Chance. Wenn Du wüsstest, Elly, wieviele Tanzproben du schon hattest und wie oft die Flosse runtergefallen ist, dann könnten wir ausrechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das bei der Aufführung auch passiert. Ich kleb die mir jetzt auf den Kopf, erklärt Elly und rauscht ab.
Oma und Opa haben den Kindern zu Weihnachten ein Baumhaus in den Garten gezaubert. Über die Distanz und unter Ausführung der weihnachtswichteligen Edda. Jetzt stehen Dark Vader und Elly im Baum und teilen sich ein Fernglas, mit dem sie in die umliegenden Gärten spionieren. Maaama, teilen sie mir mit, während das Baby und ich Unkraut zupfen. Ja, sage ich und versuche dem Baby die Gartenschere zu entwinden. Maaaamaaaa, sagt Dark Vader. Jaaahaaa, sage ich, während das Baby eisern festhält und zur Sicherheit auch noch alle sieben Zähne zur Hilfe nimmt. Maaaamaaaa, sagt Dark Vader. Himmel, sage ich und mache Anstalten die Hulk Hogan Wrestling-Todesschraube beim Baby anzuwenden, das sich laut brüllend um die Gartenschere gewickelt hat. Kind, fang doch nicht jeden Satz mit Mama an, ich bin doch hier. Ich würde gerne unterstützend winken, brauche aber alle Gliedmaßen, um die kleine Krake vom Gartengerät zu pulen. Maaamaaaa, sagt Elly. Nein, sage ich. Doch, sagt Elly. Also, Maaamaaa, du, was wir dir sagen wollten: Maaaamaaaa, von hier aus können wir vier Gärten sehen. Drei haben einen Swimming Pool. Und einer ist unser Garten. Das ist die Schönheit der Chance, erkläre ich würdevoll. Wenn man hier wohnt, hat man mit 75 % Wahrscheinlichkeit einen Pool im Garten. Die anderen 25 % haben verloren, sind ganz arm dran, schwer zu bedauern und sollten deswegen schnellstmöglich beim Unkrat jäten helfen, um ihr Karma zu retten. Das allerdings haben meine Kinder schon nicht mehr gehört. Karamell, fragt Mimimi hoffnungsvoll, die wie ein Schrat irgendwo aus dem Gehölz auftaucht. Karma, erkläre ich und frage mich, ob man nicht eins meiner Kinder an die Frankfurter Volksbühne verleihen könnte. Komm hoch, Halb-Schoko, rufen Elly und Dark Vader, die nie da sind, wenn man sie ruft, dafür sonst aber schwer abzuschütteln, der Hund nebenan hat einen riesigen Stinki in den Garten gemacht und unsere Chance ist groß, dass da jemand gleich reintritt. Das wollen wir nicht verpassen.
Die Erde ist in Bewegung, Schatz, sage ich zu Elly. Die Sonne ist immer da, aber die Erde dreht sich und wir mit ihr. Und die Schönheit der Chance ist, dass wir zwar die Wahrscheinlichkeiten von Tag und Nacht kennen - aber durch Bewegung entsteht noch viel mehr. In Deutschland müssen die Menschen jetzt alle daheim bleiben, damit durch Bewegung keine höhere Wahrscheinlichkeit entsteht, krank zu werden. Und für einen Moment sind wir alle still und denken an die vielen Menschen, die uns lieb und teuer sind. Tschüß, Sonne, verabschiedet sich Elly abends. Wenn Du Oma und Opa siehst, dann sag ihnen, dass ich hier bin. Ich bin gar nicht weit weg, sondern nur eine Drehung entfernt.