Liebe Hanna,
das ist ein trauriger Brief. Weil ich ihn schreibe und schon weiß, dass es ein Abschiedsbrief wird. Das ist also einfach. Wer Du für mich bist, ist da schon wesentlich schwieriger zu beschreiben. Auf dem Papier warst Du bis letzte Woche die Nanny meiner Kinder. In meinem Kalender waren Du und ich in den letzten 18 Monaten 5 Tage die Woche 9 Stunden am Tag zusammen. Ich in meinem Büro und Du in unserem Familien-Mikrokosmos. In meinem Herzen weiß ich, dass ich mehr Zeit mit Dir verbracht habe, als mit meinem Chef, meinem Mann und mit meiner besten Freundin zusammen. Das mögen jetzt viele Menschen traurig (für mich) finden, aber ich finde, dass ich ein Glückspilz bin. Wir haben nie gemeinsam Kaffee getrunken, uns nie privat getroffen. Ich habe Dich nicht bei Deiner Arbeit gestört und Du mich nicht bei meiner. Wir sind uns einfach jeden Tag begegnet, kurze Momente, in denen es um meine Kinder ging, die ja Deine tägliche Angelegenheit waren. Und in diesen kurzen Momenten habe ich Einiges über das Leben gelernt. Aber mehr noch dabei, wenn ich Dir zugeschaut habe, wie Du durch unser Leben gegangen bist in Deiner leisen und bestimmten Art. Wie es ist, auf einem finnischen Bauernhof aufzuwachsen und dass Bullerbü woanders ist. Dass man Deiner Mutter keine teure Gesichtscreme zum runden Geburtstag schenken kann, weil sie noch nie Creme benutzt hat. Das Heidelbeeren im finnischen Sommer nur in Kilos gepflückt werden. Das man 18 Monate immer in denselben T-Shirts arbeiten kann und die nicht älter werden - dabei trotzdem aber immer frischgewaschen aussehen. Ich war verliebt in Dein scheues und sehr seltenes Lachen und ich war stolz auf mich, wenn Du mir eins geschenkt hast. Seitdem ich Dich kenne, weiß ich, was "spröde" bedeutet und dass das etwas ist, was ich sehr mag und viel zu selten in anderen Menschen finde.
Jetzt bist Du woanders hingegangen und ich bin traurig, weil mir der Geruch von Pulla (ganzer Name: Pullataikina) mit Kokos so fehlen wird.
Das Dorf, dass es angeblich braucht, um ein Kind großzuziehen, habe ich nie erlebt. Ich weiß auch garnicht, wo das sein soll. Aber ich habe mir mein eigenes Dorf nach hause geholt.
Jetzt bist Du woanders hingegangen und ich bin traurig, weil niemand mehr Geschichten von den Mumins auf Finnisch vorliest, wobei keiner von uns Finnisch versteht, wir aber fanden, dass es sehr nach den Mumins klingt.
Ich bin weder davon überzeugt, dass Fremdbetreuung immer und in jedem Fall den Horizont erweitert, noch, dass fremdbetreute Kinder sozial kompetenter sind. Seit ich Kinder habe, glaube ich überhaupt nur noch daran, dass generalisierte Aussagen über "die Familie" und "das Kind" unzutreffend sind. In meinem Fall aber liebe ich die Welt als ständigen Besucher in meinem Haus.
Und so ist es, dass jetzt, wo Du woanders hingegangen bist, ich meine Welt wieder aus dem Baumhaus-Büro heraus betrachte und finde, dass sie ärmer geworden ist. Niemand mehr nennt einen Schnulli "Tschutscha" und ich kann es nicht, weil es komisch klingt.
Mein kleiner Sohn kennt kein Leben ohne Dich, weil Du da warst, seit er 6 Monate alt ist. Manchmal will er was und nennt mich "Hanna" und ich warte, dass das wehtut und ich eifersüchtig werde. Aber der Moment kommt nicht. Du hast das Leben meiner Kinder bereichert und meins dazu. Nur, dass ich nicht in Deiner Stellenbeschreibung aufgetaucht bin.
Jetzt bist Du woanders hingegangen und ich bleibe da. Du wirst mir sehr fehlen. Nakemiin, dear Hanna. Deine Edda