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Von Gebärmüttern und anderen Mamas

von Edda

Eines Tages rutscht mir nicht nur das Herz in die Hose, sondern die Gebärmutter auch gleich mit. Prolaps, denke ich sofort und danach: Inkontinenz, Hysterektomie, Ende des Lebens. Nachdem ich einen ganzen Tag mit steinschwerem Herz neben mir hergelaufen bin, spreche ich abends mit dem Iren. IchhabeeinenProlapsundichbinmirtotalsicherundmeinLebenistzuEnde explodiert es in die Stille und Ruhe vor dem Schlafengehen. Ich kann noch nicht mal weinen, weil mir so elend ist. Ah, sagt der Ire, hast Du schon mit einem Arzt geredet. Nee, sage ich, brauche ich nicht - kein Zweifel möglich: Das geht so nach hinten raus, beulen-mäßig, ich fühle das ganz genau. Zweiter Grad, wenn du mich fragst. Frage ich aber nicht, sagt der Ire. Sondern, ob du dich schon um einen Check gekümmert hast. Ich kann so lange nicht warten, sage ich, du musst jetzt schauen. Und was genau soll ich da sehen, will der Ire wissen, so ohne Medizinstudium und irgendwelche relevante Erfahrung. Und außerdem, fügt er hinzu, ist es 22 Uhr abends, ich bin seit 6 Uhr morgens auf den Beinen, habe mich mit 5 Studenten wegen ihrer miesen Noten gestritten, 3 Badewannen angeschaut, (die dann alle blöd waren), habe mich mit Mimimi angelegt, die nur in Unterhosen in die Krippe wollte und die Weltlage ist miserabel. Ich will jetzt ins Bett. Nur kurz, sage ich, und verkneife es mir, darauf hinzuweisen, dass der Ire in irgendeiner meiner unzähligen Schwangerschaften ja auch mal nach Hämorrhoiden schauen musste, weil ich mit dickem Bauch zu keinen artistischen Einlagen mehr fähig war. Gibt ja auch schönere Dinge, an die man sich erinnern kann. Ich sehe nichts, sagt der Ire, ich hab schon die Augen zu. Du schaust jetzt, brülle ich und das Baby schnorchelt entrüstet in seinem Gitterbett. Am besten fühlst du auch gleich mal, wasch dir schon mal die Hände. Der arme Ire seufzt. Und steht dann auf. Eine ganze Woche soll vergehen, bis ich einen Termin zum Check ergattern kann und die Woche wird auch dadurch nicht besser, dass meine Klausuren vor der Tür stehen, alle Kinder erkältet sind und wir praktisch morgen die Bäder renovieren. Ich habe solche Angst, dass ich mich am liebsten hinten im Garten verstecken möchte. Stattdessen manövriere ich mich wacklig durch den Alltag. Was tut hier eigentlich so weh, frage ich mich und weiß es einfach nicht. Bis Beanies Fußballtraining ansteht. Eigentlich geht er immer mit einem anderen Fußball-Kind nach der Schule nach hause, fährt zum Training und wird dann nach hause gebracht. Aber heute wollte er nicht. Nee, sagt mein neunjähriger Sohn, du sollst mitgehen. Schatz, sage ich, dein Training ist zwischen 18 und 19 Uhr abends - wenn ich da mitgehen soll, ist das für mich, als müsste ich nackt im Feierabendverkehr die Autobahn überqueren. Auf den Händen laufend. Aber Beanie lacht nicht. Mitgehen, sagt er und seine großen braunen Augen halten meinen Blick ganz fest. Also steigen meine verunfallte Gebärmutter, ich, Elly und Dark Vader ins Auto. Es ist schon dunkel und Dark Vader hat sich die Stirn-Taschenlampe aufgesetzt, was selten ein gutes Zeichen ist. Kurz bevor wir zum Fußballplatz abbiegen, fängt Beanie an zu weinen. Ich kann nicht, schluchzt er. Keiner will mich in der Mannschaft, alle sind viel besser als ich. Die wollen mich nicht, ich will nicht hin, wir fahren heim. Das Kind ist außer sich, was ich daran merke, dass seine umsitzenden Geschwister brummende Geräusche machen, die so klingen, als würden sich Koalas um einen verletzen Genossen scharen. Ich fahre weiter. Wir gehen dahin, bestimme ich. Das werden wir doch mal sehen. Nein, sagt Beanie, ich habe da keine Freunde, keiner mag mich, ich kann nicht. Wir steigen aus dem Auto und ich lege meine Arme um das dünne, zitternde Kind. Meine verdammte Gebärmutter hängt zentnerschwer irgendwo, wo sie definitiv nicht hingehört und ich fühle mich unzulänglich. Du bist der Tollste, sagt Dark Vader und Donald Trump kann sich von ihr was abschauen, denn dieses Mädchen hat definitiv die besten Worte. Und wer was anderes sagt, den poke ich mit einem Stock. In den Hintern, fügt sie hinzu. Elly nickt zustimmend, wobei er das auch machen würde, wenn Dark Vader gesagt hätte, sie setze jetzt mal eben unser Haus in Brand. Wir gehen zu Linus' Mannschaft und man sieht schon auf die Entfernung, dass er hier tatsächlich keinen einfachen Stand hat: Die anderen Jungs haben die Haare, die Attitüde und das Schuhwerk der angehenden Profi-Fußballer. Beanie hat nichts davon und davon, dass wir ihn toll finden, kann er sich hier auch nichts kaufen. Wie Falschgeld steht das Kind neben dem Bolzplatz und wünscht sich eine Million Lichtjahre weit weg. Ich geh schonmal einen Stock zum Poken suchen - oder am besten einen ganzen Baum, kündigt Dark Vader an, wie immer die Situation intuitiv richtig erfassend. Ich sehe meinem Kind zu, wie es sich zittrig über den Platz kämpft. Ich wäre gerne perfekt hat er zu uns gesagt, bevor er losgeschlichen ist. Wenn man perfekt ist, hat man es leicht. Himmel, denke ich, als ich ihm zuschaue. Wie zur Hölle konnte es soweit kommen, dass Perfektion das neue Normal ist. Wo ist denn Ganz ok abgeblieben, oder Geht so. Oder gut. Auf der Rückfahrt drehe ich die Musik laut und wir singen zusammen mit AJJ "So here's to you, Mrs Robinson, people love you more or nevermind. In fuckin' fact, Mrs Robinson, you live in an unforgiving place".
Lasst das mit der Perfektion, erkläre ich meinen Kindern und mir selbst abends beim ins Bett gehen. Es ist in Ordnung, Mängel zu haben, nicht immer super zu sein, zu scheitern. Es ist in Ordnung, wenn einem die Gebärmutter zwischen den Knien hängt, füge ich im Stillen hinzu. Wir leben in einer Welt, in der Menschen zu Tode gekniet werden, weil man sie aufgrund ihrer Hautfarbe für potentielle Verbrecher hält. Wir leben in einer Welt, wo menschenverachtende, frauengrabschende, beschissene Lügner amerikanische Präsidenten werden können. Wir leben die Welt kaputt, als hätten wir noch zwei oder drei Stück in Reserve. Und trotzdem wollen wir alle gerne perfekt sein. Und schön, wenn wir gerade schon dabei sind. Ihr braucht da nicht mitzumachen. Fehler, Mängel sind ok. Ich habe mit dem schwarzen Edding versehentlich ein Portrait von Frida Kahlo auf Elly's neue Schuluniform gemalt, gesteht Dark Vader. Fehler sind doch ok, Mama, oder? Hast du doch gerade gesagt, Mama, oder? Ich gebe dich zur Adoption frei, erkläre ich ihr freundlich. Fehler sind total ok - aber diese Art von Fehler dann auch wieder nicht. Aber zum gefühlten ersten Mal diese Woche muss ich lachen. Redet drüber, sage ich meinen Kindern. Wartet nicht erst, bis einer weinend am Fußballfeld steht. Versteckt nicht, was ihr macht und nicht, was ihr denkt. Und vergesst das mit der Perfektion. Denn Perfektion bedeutet ja nur, dass wir von anderen wollen, dass sie es nicht sind. Im Dunkeln sehe ich die Augen meiner Kinder leuchten. Aus meiner verunfallten Gebärmutter werden keine Kronjuwelen mehr, soviel ist klar. Aber vielleicht ist mein Leben doch nicht am Ende. Vielleicht fängt das, was die Welt rettet, bei jedem selbst an.

PS: Hallo Mama, ich hatte dann doch keinen Prolaps. Der Ire behauptet, er hätte das von Anfang an gewusst. Falls Du Dich vor lauter Sorge beim Lesen innerlich schon auf den Weg nach Australien gemacht hast - zu Fuß - dann bleib doch lieber noch kurz daheim. Du bist das, was in meinem Leben der Perfektion am nächsten kommt. Kuss, Deine Knoddi.