Meiner allerschönsten Freundin reicht es. Was denn, frage ich schuldbewusst, denn es kann ja auch durchaus sein, dass man es selber ist, mit dem es dann doch mal reicht. Alles, sagt sie, es reicht mir mit Allem - weil nichts reicht. Und ob ich verstehe, was sie meine. Nee, erkläre ich, aber weil ich mich mit Nicht-Verstehen spätestens seit meiner Statistik-Klausur letzte Woche exzellent auskenne, mache ich mich auf die Suche nach Antworten. Die finde ich zunächst nicht, genauso wenig wie meine Kinder. Dafür höre ich aber aus dem Garten, wie Dark Vader Elly erklärt, dass man, um Jolene 1, 2 und 3 (Anm: die Nachbarshühner) besser füttern zu können, am besten den Zaunpfosten umsägt. Denn den Baum, auf dem man vorher ins Nachbargrundstück klettern konnte, habe ja die fiese Mama abgemördert. Da ich davon ausgehe, dass ich für Konsequenzen nicht verantwortlich bin, wenn ich so tue, als würde ich sie nicht kommen sehen, muss ich mich anderweitig umhören.
Ich rufe also erstmal die Helden-Oma an, bei der man sich immer eine gemischte Tüte an Ratschlägen abholen kann. Reicht's? frage ich sie, denn bei Mamas braucht man sich mit Höflichkeiten nicht aufzuhalten. Och, ja, sagt sie, doch. Der Garten sei so schön, das Wetter ganz gut, bißchen Regen wäre nicht schlecht (Anm: Meine Mama könnte in Atlantis wohnen und ein "bißchen Regen" wäre trotzdem immer nicht schlecht), sie hätte viel Arbeit, würde jetzt aber trotzdem für halb Schwalbach nochmal schnell einen Kuchen backen, denn X war krank und Y freut sich immer so. Also reicht's jetzt, frage ich ungeduldig, oder reicht's doch noch gerade so. Nee, ja, sagt sie, sie müsse jetzt mal Schluß machen, denn sie müsse ja noch besagten Kuchen backen/zum Englisch/zum Straße kehren oder zum Sport. Dass mich das nicht weitergebracht hat, vergesse ich kurzzeitig, denn ich sehe aus dem Küchenfenster, wie Mimimi mit nacktem Popo die Leiter zum Trampolin erklimmt. Ihre Hose hat sie sich lässig auf den Kopf gesetzt und die Hosenbeine hängen wie zwei überdimensionale Hasenohren ihren Rücken runter. Kein FKK-Springen, brülle ich aus der Terrassentür, du bist doch kein Baby mehr. Ich bin Honey, brüllt Mimimi zurück und springt euphorisch mit wackelnden Pobacken auf und ab.
Jetzt reicht's mir aber, denke ich und finde somit wieder zu meiner Ursprungsaufgabe zurück. Dann rufe ich eben Ernie & Bert in Berlin an und frage die. Von Berlinern weiß man ja, dass die es grundsätzlich wissen oder zumindest schonmal gesehen haben. Ey, rufe ich in den Bildschirm, denn in Corona-Zeiten telefoniert man ja maximal noch mit seiner Mama ... mit dem Rest der Welt wird gezoomt. Ey, reicht's jetzt, oder was?! Reicht doch nie, wa! johlt es mir zweistimmig aus den Lautsprechern entgegen. Aber jetzt müsste ich sie entschuldigen, denn sie hätten noch viel vor: reich und berühmt werden, die Welt erobern, schön seien sie ja schon. Peace - und Tschüß! Aus Menschen soll man schlau werden: dem Einen reichts, weil nichts reicht, dem Nächsten reicht's und gut, den Anderen reicht's nie. Und du? frage ich das kleine Speckmädchen auf meinem Arm? Reicht's dir? Das Baby seufzt und grunzt und spuckt mir liebevoll ein bißchen säuerliche Milch auf den Pulli. Dann rollt es sich in meiner Halsbeuge zusammen und schläft ein. Reicht dicke, denke ich. Kann ich mal die Säge, fragt da Elly von der Tür? Nee, sage ich, ich vergesse nämlich seit zwei Wochen, Pflaster zu kaufen. Sag mal, Schatz, reicht's in der Schule? Reicht, sagt Elly, total. Ist doch easy-peasy. Mama, nur weil du unbedingt nochmal in die Schule gehen wolltest, müssen doch alle anderen da nicht so ewig hin, oder? Och, sage ich, bißchen lesen und schreiben und so. Kann ich schon längst, erklärt Elly und fügt hinzu, dann bauen wir die Säge eben selber. Dark Vader hat sich eine Sägemaschine ausgedacht, die wird von Einhörnern gezogen und die hat ein Sägeblatt, das kann durch Häuser schneiden. Und echtes Feuer spucken! Schön, Schatz, lobe ich und will gerade noch irgendwelche Warnhinweise nachschieben, da ist das Kind aber schon wieder weg.
So komme ich nicht weiter, erkenne ich. Abends bekomme ich per Klassenfeed ein Foto des vierjährigen Elly, kurz nach dem wöchentlichen Klassendiktat. Der diktierte Satz diese Woche: A man went to a shop to get fish. Elly, seines Zeichens Lese- und Schreibprofi, hält stolz sein Whiteboard hoch und auf dem steht: Toget Fis.
Reicht total, da muss man ihm Recht geben.