Beanie soll in eine Begabtenklasse, findet seine Lehrerin. Keine Überraschung, findet der Ire. Ätzend, finde ich. Ich weiß natürlich, dass meine Kinder überragend, wunderbar und außergewöhnlich sind. Ich bin da allerdings in bester Gesellschaft - denn das findet der Löwenteil aller anderen existierenden Eltern auch. Wir reden also mit Beanie, dem angeblichen Superhirn. Der spielt allerdings gerade Pokemon Go und hat keine Lust darauf, dass Erwachsene immer soviel reden. Murmel Murmel Begabtenklasse Bla Bla Bla Murmel Üben Bla Bla Prüfung. Was? sagt Beanie, jetzt alarmiert und verschwindet vorsichtshalber hinter seinen Haaren. Muss ich? Nein, Schatz, beschwichtige ich und werfe dem Iren einen Blick zu, der selbst einem tollwütigen Löwen das Fell versengt hätte. Üb doch erstmal und so, dann sehen wir weiter. Ich muss doch schon Hausaufgaben machen, motzt mein sonst so gelassener Sohn, muss ich das auch noch machen.
Was jetzt folgt ist ein wochenlanges Märtyrium, bei dem ich mit dem Übungsheft wedele und mir im Gegenzug Beanies Fluppe für den Rest des Tages anschaue. Möchtest Du einen Sleepytime-Vanille-Tee?, frage ich. Schokokeks?, sage ich. Soll ich Dir Licht anmachen? Musik? Soll ich mich dazusetzen? Kringel doch ein, was dir nicht klar ist und das schauen wir hinterher an, sage ich. Super, sagt Beanie, kringelt alle Fragen ein und geht in den Garten zum Fußball spielen. Kaust Du einen Teebeutel, Mama? fragt Dark Vader, die irgendwie aus dem Boden gewachsen ist. Nee, schnaube ich entnervt, ich rieche dran. Das beruhigt. Beanie sollte es so machen wie die Kackoliken, empfiehlt Dark Vader, die sind immer mit dem Mann und so. Wenn Gespräche schon so anfangen, denke ich mir. Ok, sage ich, dann erklär es mir eben, wenn es unbedingt sein muss. Die Kackoliken, die haben doch doch immer diesen Mann dabei und sind deswegen nie allein. Wovon sprechen wir hier, frage ich. Da kommt Elly um die Ecke geröhrt, mit Mimimi im Schlepptau. Die heißen doch nicht Kackoliken, du Pupskopf, lacht er. Selber Kocko-Locko, du Kacka-Lacka, brüllt Mimimi und gibt uns einen kleinen Einblick in das, was uns da noch blüht. Wir haben seit dieser Woche wieder Ethik, setzt Elly zur Erklärung an. Sage ich doch, meint Dark Vader, die Kackoliken. Vaderchen, sage ich, Katholiken. Hab ich gesagt, erklärt das Kind, und wie heißt der Mann nochmal? Gott vielleicht, versuche ich mein Glück. Jesus? Genau, Dark Vader ist begeistert, der Jesus wars. Herzlichen Glückwunsch, sage ich, schaut doch mal, was der Papa so macht. Die Kackoliken sind nie allein, denn sie haben Jesus, fährt Dark Vader ungerührt fort, Beanie müsste auch sowas haben, dann wäre er nicht mehr so allein mit seinem Test. Das wiederum trifft mich voll auf die Zwölf, denn es bleibt uns allen nicht verborgen, wie traurig und besorgt Beanie ist.
Mein Kind ist unglücklich, platze ich in das Arbeitszimmer des Iren und du und dein bekackter Begabtentest sind schuld daran. Ich will nicht, dass er das macht. Ich will stattdessen, dass wir alles verkaufen und Möhren-Farmer in Tasmanien werden. Und keiner jemals wieder in die Schule geht. Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, erklärt der Ire ruhig, wolltest du noch Hebamme werden und bist selber freiwillig zurück in die Schule gegangen. Sei ruhig, du Kacka-Lacka, randaliere ich, kann man hier keine sachliche Diskussion führen? Das Kind ist unglücklich und ich möchte deswegen alle Kinder aus der Schule nehmen. Für immer. Und niemand wird mich jemals davon abhalten! Mama, sagt Dark Vader in meinem Rücken, Mama, Heißklebepistole geht doch ganz einfach wieder ab, oder? Mama. Mama, du hast doch eigentlich gesagt, dass du deine Handtasche gerne für immer ordentlich haben möchtest, oder? Mama? Ich verstehe überhaupt nicht, warum es eigentlich Wochenenden gibt, erkläre ich meinem Kind. Ihr könntet doch einfach stattdessen sieben Tage in der Woche in die Schule gehen. Das wäre doch toll, nicht? Mein Blick fällt auf das Trampolin, auf dem mit fliegenden Haaren und schlackernden Knien mein ältester Sohn springt. Wahrscheinlich hat es schon lange keine schmaleren Schultern mit schwererer Last gegeben.
Und als wäre es nicht genug, hören Dinge auf zu klappen. Beim Fußball steht Beanie da und hält sich selbst an der Hand, während die Pässe links und rechts an ihm vorbei gehen. Komm schon, Beanie, los geht's, rufe ich und wer mich jemals auf dem Fußballfeld erlebt hat, der weiß, dass man meine Stimme bis ins All hört. Mindestens. Aber es geht nicht nur nicht los, sondern es geht so auch nicht mehr weiter. Samstags abend geht der Ire mit vielen Kindern zu unseren Nachbarn zum am Feuer sitzen. Ein Kind bleibt zurück. Naja, ein Kind und ein Baby. Und eine Mama, die in der Küche aufräumt, während sie versucht zu hören, was keiner sagt. Was kann ich tun, frage ich. Ich mache es, sage ich. Ich mache alles, sage ich. Ich will doch so gerne was für dich machen, sage ich. Bitte, sage ich. Aber mir kann es Beanie nicht sagen. Dafür allerdings dem kleinen Baby, das seine sabberigen Hände nach dem großen Bruder ausstreckt, während es neben ihm auf der Küchenbank in der Wippe sitzt.
Grrrrrrr, sagt das Baby. Ich kann das alles nicht, erklärt ihm Beanie. Brrrpppfhfhfh, sagt das Baby beruhigend. Nee, sagt Beanie, es ist viel. Uaaargdadadadda, macht das Baby und stopft sich die Hand in den Mund. Meinst du, sagt Beanie, das traue ich mich aber nicht. Wenn ich mal was sagen darf, schalte ich mich ein und könnte mir gleichzeitig das Nudelholz auf den Fuß fallen lassen, weil Eltern immer so blöd von der Seite reinquatschen und es sie oft echt auch nichts angeht. Es ist viel, was wir von dir wollen und wir wissen das - aber, Schatz, das bedeutet nicht, dass du abliefern musst. Wir wollen, dass du was ausprobierst. Letztendlich geht es im Leben um nichts anderes. Ausprobieren, Sachen rausfinden, vielleicht auch sich selber kennenlernen. Der Rest findet sich. Im Gegensatz zu dem, was die Kackoliken glauben, ist richtig und falsch, gut und schlecht nicht immer so einfach zu erkennen. Er sei müde, sagt Beanie und geht duschen.
Wir hören den wilden Papageien draußen beim Abendgesang zu und über dem Pittwater geht leuchtend die Sonne unter. Dass wir das nicht aus dem Wohnzimmerfenster sehen können macht nichts - denn manche Sachen weiß man einfach auch so. Ich lege das dicke Baby in sein Körbchen und sage Gute Nacht und dass ich mich schon auf sein erstes Lachen morgen früh freue. Dann wird es still im Haus. Beanie kommt mit seiner Decke und fragt, ob er sich noch einen Moment zu uns setzen kann. Ich erinnere mich, dass Beanie als kleines Kind nie selber das Bett verlassen hat, selbst dann nicht, als er kein Gitterbett mehr hatte. Fast so, als würde die Welt jenseits der Bettdecke aufhören. Ich zünde "Winter Spice" an, eine Duftkerze, die auch in der Küche der Superoma steht - unsere telepathische Verbindung nach hause. Willst du Pokemon Go, frage ich Beanie, der in seiner Bettdecke eingerollt liegt, wie ein Igel in seinem Winterschlaf-Nest. Und dann spielt Beanie auf meinem Telefon. Und ich? Ich höre dem Universum zu, wie es raunt und erzählt, dass ich für immer nur der Begleiter meiner Kinder bin. Nicht der Bestimmer. Vielleicht spiele ich auch Candy Blast (Level 842), so genau weiß ich das hinterher nicht mehr.