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Vom (anderen) Ende der Welt

von Edda

Wo sind denn jetzt die Koalas, Elly ist entrüstet. Seit einer geschlagenen Stunde sitzt das Kind auf den Stufen zum Garten und wartet darauf, dass seine ganz persönliche Vision von Australien wahr wird und endlich eine Parade von einem Meter großen Koalas zum Meet & Greet kommt. Ja, wir haben ihn vorab mehrere Stunden lang mit Naturphotographie bespielt und Nein, es hat offensichtlich nichts gebracht. Koaaaalaaaa - schau mal, Essen! Elly ist in den Lock-Modus eingetreten. Koala-Essen = Schüssel mit Cornflakes & Milch. Schatz, Koalas wohnen nicht in Gärten, sondern auf Eukalyptusbäumen und vor allem da, wo sie ihre Ruhe haben, versuche ich die Gemüter zu beruhigen. Ich wedel dich weg, brüllt Elly, da ist doch der Calippo-Baum und ich sitze jetzt hier, bis der Koala runterkommt.

Die australische Fauna beschäftigt uns auch auf anderer Ebene. Der Ire hat im Bad die erste Kakerlake gesichtet. Wie groß war die so, frage ich und hoffe, dass der Ire mit den Fingern etwas in der Dimension eines Sandkorns zeigt. Stattdessen gehen die Finger gefühlt einen halben Meter auseinander. Mir wird übel. Beanie allerdings ist nicht uninteressiert. Mama, Sydney funnel web spiders können durch einen menschlichen Fußnagel hindurchbeißen, wusstest Du das? Öööcchh, krächze ich. Ich geh mal in den Garten und schaue, ob ich eine finden kann!, das Kind ist begeistert. Zieh Schuhe an, rufe ich ihm noch nach: Nie ohne Schuhe; nichts anfassen, was nicht mindestens ein Koala ist; immer mit Hut. Mein Sohn ist allerdings schon weg auf Spinnenschau. Mama, gellt es kurz darauf von draußen, Mama, wieso schmeißt denn der Elly mit Cornflakes nach den Bäumen?

Wieso ist im fremden Daheim alles anders?, fragt Dark Vader. Wir sind noch keine Woche in Australien und somit von Routine ungefähr so weit entfernt, wie Schwalbach von Sydney. Wir finden nichts, kennen uns nicht aus und alles ist woanders - Ausländer sein ist schwer und wir können immerhin die Sprache, dachte ich zumindest. Can I have your meowl? fragt mich die freundliche Dame im wunderhübschen Bio-Laden. Ich schaue verwirrt. Your meuol? Ich werde unruhig und schiebe meinen Kopf schildkrötenartig in ihre Richtung in der Hoffnung, dass räumliche Nähe auch Verständnis bringt. Your m e u w o l ? Jetzt wird auch die Verkäuferin etwas ungeduldig und mir bricht der Schweiß aus. Unsere Köpfe treffen sich praktisch Nase an Nase über der Kasse. Darling, don't you have e-mail in Europe? die ältere Dame hinter mir in der mittlerweile sehr langen Schlange tätschelt mir die Schulter. Ich schaue aus dem Fenster auf den neon-blauen Himmel und frage mich, wie man jemals irgendwo zuhause sein kann, wo man fremd hinkommt.

Das Baby ist auf dem Flug nach Australien krank geworden und mit hohem Fieber eingereist. Seitdem hustet, schnieft und humpelt es sich durch den Tag. Ein Arm wird nicht mehr zum Krabbeln eingesetzt, sondern zum Fühlen, Tasten und Wegschieben von allem, von dem wir eigentlich wollen, dass es in Reichweite kommt: Essen zum Beispiel. Iss doch mal, Baby! Ich suche Naturjoghurt mit 3,5 % Fettanteil und finde: fettfreien Joghurt, griechischen Joghurt, Vanillejoghurt, Regenbogenjoghurt, Joghurt mit tausend verschiedenen Streuseln/Keksen/Müslis/Früchten/Flocken/Schokokugeln in allen Preiskategorien. Naturjoghurt mit Milchfett finde ich nicht. Probier doch mal, Baby! Joghurt mit Apfelmus, hmmmmmmmmm!!!!! Das Baby nimmt den billigen Alu-Suppenlöffel (kleine Löffel sind alle im Container) in den Mund, verzieht das Gesicht und kratzt sich hinterher die Pampe von der rausgestreckten Zunge. Dann schaut es mich anklagend über der grünverkrusteten Nase an. Ich könnte weinen, mache es aber nicht, weil im nächsten Moment die Trinkflasche durch den Raum fliegt und mich das Baby dabei nicht aus den Augen lässt. Heim! sagt es zu mir in meinem Kopf: Bring. Mich. Sofort. Heim. Dann legt es den haarigen Kopf verzweifelt auf dem Tablett des Hochstuhls ab.

Wie so oft rettet mich Dark Vaders unverwüstlicher Lebensoptimismus. Ich laufe mit ihr und Beanie den Strand entlang. Wir suchen sea glass, schauen uns die seltsamen Sachen an, die das Meer anschwemmt und betrachten die Surfer draußen im Meer. Dark Vader springt über die Gischt der hereinrollenden Wellen, dabei wiehert sie. Sie tanzt und singt, fuchtelt mit den Armen, redet mit dem Sand, ihrem Bruder und mir. Dann ist sie ganz still. Alles gut, Schatz? Ich höre der Welt zu, sagt sie mir. Und ich nehme mir das für morgen auch vor. Übermorgen allerdings sollte ich besser mal Naturjoghurt finden.