Es ist zur vollen Stunde, ich sitze im Auto mit drei befüllten Kindersitzen auf der Rückbank und es ist ausnahmsweise mal ruhig. Was vor allem der Tatsache zu verdanken ist, dass ich meinen Kindern versuche beizubringen, dass wildes, spitzes Gekreisch meiner Konzentration als Autolenkerin nicht zuträglich ist. Und wenn wir an Körper und Blech wohlbehalten irgendwo ankommen wollen, dann kann man eben auf der Rückbank keine Urschrei-Therapie abhalten. Es sei denn, man muss sich übergeben. Und selbst dann ist es meistens sowieso zu spät.
Gerade noch lief "Wannsee" von den Toten Hosen im Radio und ich hänge so meinen Gedanken nach. Zum Beispiel, dass ich Campino auch gerne geheiratet hätte. Und wie ungerecht doch das Leben manchmal sein kann. Da kommen die Nachrichten und ich höre mit einem Ohr zu und bin mit dem anderen noch immer bei den Toten Hosen. Bombenanschlag in der Londoner U-Bahn, höre ich. Da piept auch schon mein Sohn: "Mama, warum gibt es so was Blödes wie Bomben?" und tritt sofort nach "Und warum passieren gerade so viele schlimme Sachen auf der Welt?". Ich schaue in den Rückspiegel und meinem 6 Jahre alten Sohn ins Gesicht. Dieses Kind trägt wirklich schwer am Gewicht der Welt, das kann man nicht anders sagen. Naja, er hat auch schon mit 3 Jahren immer heruntergefallene Blätter zu Haufen zusammengelegt, damit die nicht so alleine sind. Was will man da erwarten? Auch seine kleinere Schwester ist aufmerksam geworden, blinkt mich an und macht gleich mal Stimmung: "Das war bestimmt der Donald Trump."
Ich mache mir eine stillschweigende Notiz, dass mein Mann und ich unsere abendlichen Politik-Diskurse irgendwie in einem anderen Grundmodus abhalten müssen. Ich dachte als Kind nämlich lange steif und fest, dass die Hölle ein Ort für miese Menschen und CDU-Wähler sei und hatte eigentlich als Erwachsene vor, keine Indoktrination zu betreiben.
Was macht der Kleinste? Möchte der sich vielleicht auch an weltpolitischen Betrachtungen beteiligen? Nein, der popelt ein halbgeschmolzenes Gummibärchen aus einer Sitzritze und ist damit hochbeschäftigt. Mein Sohn wird hinten unruhig. Ich soll jetzt was sagen, merke ich. Warum kann man sich Jesper Juul nicht knebeln, fesseln und in den Kofferraum sperren? Und ihn dann rauslassen, wenn es um solche Situationen geht.
"Ich weiß nicht, Kleiner". Denn ich weiß es ja tatsächlich nicht. "Bomben sind was, das Menschen gebaut haben, weil sie dachten, dass man sie braucht - aber nur im Notfall benutzen würde. Und dann hat sich rausgestellt, dass Notfall für jeden was anderes bedeutet." Genau, blöde Antwort. Habe ich auch selber gemerkt. Zu allgemein und mein Sohn schaut dementsprechend verständnislos.
"Also, ich weiß nicht, warum es Bomben gibt und wieso Menschen so was überhaupt bauen wollen. Und ich weiß auch nicht, warum man die einsetzen will. Aber ich habe von meinem Opa einen super Trick gelernt, was man selber machen kann, damit keiner um einen rum Bomben bauen oder schmeißen muß." Opas genießen per se einen guten Ruf bei meinen Kindern und deren Tricks haben oft was mit Cola zu tun oder mit knallbunten Hosen und sind deswegen durchaus hörenswert. "Mein Opa war dabei, als es das letzte Mal einen Krieg auf der ganzen Welt gegeben hat. Er war damals viele Jahre weg von daheim, hat viele Bomben explodieren gesehen und mir später oft davon erzählt. Und er hat mir erzählt, was jeder Mensch machen kann, damit das nie wieder passiert." Erziehungsarbeit beginnt bekanntlich immer genau dann, wenn es für einen selbst unbequem ist und man spürt, dass hier jetzt was passiert, das man später nicht mehr zurechtrücken kann.
"Er hat mir mein ganzes Leben lang erklärt, wie wichtig es ist, dass jeder Mensch offen sagen kann, was er denkt und fühlt. Und dass niemand ihm dieses Recht wegnehmen darf. Dass jeder Mensch dafür verantwortlich ist, was um ihn rum passiert. Dass wir alle Teil unserer Stadt, unseres Landes sind und nur, wenn jeder sein Bestes gibt, können alle Menschen auch friedlich und gut leben. Dass nichts schlecht ist und einem Angst machen muss, nur weil es fremd ist. Das nennt man dann Demokratie. Und das ist das Wertvollste, was wir besitzen." Meine Tochter ist nicht einverstanden: "Das Wertvollste, was ich besitze ist der Hasi." Ich kann verstehen, was sie meint. Mein Sohn ist ganz still. Und der Kleinste ist eingeschlafen.