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Lieber Beanie, lieber Elly - Brief an meine Söhne

von Edda

Lieber Beanie, lieber Elly,

ich hätte nie gedacht, dass ich mal Söhne habe. Jungs, dachte ich, sind Stock-fuchtelnde Schreihälse mit Rotznasen und verfallenen Knien. Im besten Fall zu gebrauchen für die lokale Fußballmannschaft und als Konsumenten der Lego-Industrie, wo man dann jede Woche irgendein uninspiriertes Fahrzeug zusammenstecken darf. Jungen sind schön, Mama, oder? fragt Elly, seines Zeichens ein Junge und fünf Jahre alt. Gerade hatten wir ein irritierendes Gespräch mit Dark Vaders Fußballteammitglied, der zielsicher auf Beanie gezeigt und festgestellt hat, dass dies Dark Vaders Schwester sein muss. Nee, sage ich, das ist ein Bruder. Dann sei das Dark Vaders Schwester, fragt das andere Kind unbeirrt und zeigt auf Elly, der fast mehr Haar als Kind ist. Nee, sage ich, das ist auch ein Bruder. Ah, das Kind ist ratlos, will aber nicht aufgeben und zeigt auf das fuchtelnde Baby mit seiner blauen Tupfenmütze, das ist doch dann Dark Vaders Bruder, oder? Nee, sage ich, Schwester. Das Leben, man sieht es hier, ist nicht immer einfach.

Jungen haben es schwer, seufzt Elly, denn sie haben einen Penis und der ist ganz schön schwer und den muss man immer mit sich rumschleppen, selbst dann, wenn man eigentlich müde ist. Er guckt bekümmert. Penis-Gespräche sind für mich in der Regel Gespräche mit starkem Seegang, denn ich habe im Verlauf meines Lebens durchaus schon einige Penisse zu sehen bekommen, habe aber noch nie einen besessen. Das schränkt meine Expertise beträchtlich ein. Och, sage ich aufmunternd, so ein Penis ist doch was Schönes! Und weil Elly noch immer bekümmert schaut, sage ich ihm, dass er ganz schön Glück hat, ein Junge geworden zu sein. Wieso, mischt sich sein großer Bruder ein, kann man doch sowieso nicht aussuchen. Ihr habt es ganz schön gut global gesehen, erkläre ich: männlich, weiß, gehobener Bildungsstand. Das ist schon fast Liverpool in der Premier League. Euch kommt mal keiner und versucht euch schlechter zu bezahlen, aus dem Job zu drängen oder euch zu verkaufen, dass ihr mal besser daheim bleibt, damit irgendwelche Kinder keinen dauerhaften Schaden davontragen. Und das ist nur der Anfang! Es wird auch keiner versuchen, euch an irgendwen zu verheiraten, zu behaupten, dass ihr weniger wert seid, euch die Schamlippen zu verstümmeln, euch nicht in die Schule zu schicken oder euch rauszuschmeißen, weil ihr auch im zweiten Anlauf keinen Sohn zur Welt gebracht habt. Ihr werdet immer euch selbst gehören und nicht zu irgendwem. Brüll doch nicht so, Mama, voll peinlich, findet Beanie. Was sind Schamlippen, Mama, will Elly wissen. Ach, vergesst es, sage ich. Aber jetzt bin ich wach und sehe Dark Vader, wie sie als einziges Mädchen auf dem Feld der gesammelten Jungenschaft zeigt, was eine Harke ist - und noch nicht rausgefunden hat, dass das wahrscheinlich nicht für immer so bleiben wird.

Männer und Frauen sind nicht gleich und nein, ich rede jetzt nicht von Penis und Scheide und schaue Elly mahnend an, der gerade mit der Hand in der Unterhose kurz fühlen wollte, was er denn jetzt nochmal ist. Wir haben eine strikte Hand-in-Hose-nur-daheim-Police, denn in Australien klebt einem die einheimische Sittenpolizei immer gleich am Hintern. Ist doch einfach, sagt Beanie, muss man doch nur für jeden gleich machen. Gleichberechtigung, sage ich, ist ein veraltetes Konzept der 80er Jahre. Gab's da noch Dinosaurier, fragt Elly begeistert. Fast, sage ich, die sind allerdings kurz nach der Geburt von eurem Papa ausgestorben. Ich verstehe trotzdem nicht, wieso ich es einfach haben soll, sagt Beanie. Weil es über viele Jahrhunderte so war, dass Männer Regeln gemacht haben und Frauen waren Teil dieser Regeln, konnten sie aber zum größten Teil nicht selbst beeinflussen. Das Nachbarmädchen, meckert Elly, sagt aber immer zu mir, dass ich nicht mitspielen darf und nicht bestimmen kann. Und dann kommt ihm eine Idee und er verkündet, dass er ja, wenn sie beim nächsten Mal zum Spielen kommt, ihr mal sagen kann, dass er der Bestimmer ist. Er sei ja immerhin ein Junge. Bitte nicht, sage ich, so läuft das nämlich nicht. Schade, findet Elly. Ja, sage ich, und du bist lange nicht der Einzige, der das schade findet. Aber, findet Beanie, es ist doch manchmal auch gut, wenn man weiß, wer der Bestimmer ist. Bei ihm in der Schule, erklärt er, sei es immer chaotisch, wenn es bei Gruppenaufgaben keinen Bestimmer gebe. Dann wolle jeder Recht haben und entscheiden, wie es gemacht werden soll und am Ende klappt nichts und alle sind beleidigt. In der Schule ist es offensichtlich in Ausnahmefällen doch so wie im realen Leben, denke ich. Irgendwie wollen Menschen immer, dass irgendwer der Bestimmer ist, erkläre ich, aber es kann nicht sein, dass immer dieselben die Bestimmer sind.

Wie ist das mit Mimimi, dem Baby und Dark Vader, fragt Beanie besorgt, werden die es auch schwerer haben? Der Gedanke macht ihm offensichtlich Sorgen. Zum Teil bestimmt, sage ich, denn Dinge auf der Welt ändern sich nur sehr langsam. Im Gegensatz zu Gleichberechtigung bedeutet aber soziale Gerechtigkeit, dass erkannt wird, dass es einige Menschengruppen schwerer haben als andere. Und im Idealfall passieren zwei Dinge: dass ein Umfeld für einzelne Menschen entsteht, in denen sie die Unterstützung bekommen, die benötigt wird und dann braucht man dringend ein großes Umfeld weltweit, in dem manche Hindernisse kleiner gemacht werden oder aus dem Weg geräumt werden. Und zwar nicht für alle, sondern für die, die das auch brauchen. Das verstehe ich nicht, sagt Elly. Das ist nicht schlimm, finde ich, denn das ist auch nicht einfach. Wird alles besser, wenn Donald Trump endlich tot ist, fragt Elly. Ähä, sage ich und Beanie lacht. Sag mal, Mama, du sagst doch immer, dass es frauengrabschende, irre Ego-Idioten eigentlich nicht geben sollte. Ich mag das Leben wirklich gerne, erkläre ich Elly und deswegen würde ich nie jemandem wünschen, dass er seins verliert. Aber Donald Trump steht für etwas, was ich ganz schlimm finde. Papa auch, Elly ist alarmiert, der ist doch auch ein Mann, oder? Blitzeis, denke ich. Man ist zwar immer ein Mann oder eine Frau. Aber man ist auch sein eigener Mensch, was ein großes Glück ist. Beanie bleibt beharrlich und findet, es sei doch aber ohnehin so schwierig zu wissen, was andere Menschen von einem wollen. Da sei es doch eigentlich schön, wenn man das einfach schon weiß und das Leben das zuteilt. Ja, sage ich, aber dann wird man nie wissen, wo man selber anfängt und das Zugeteilte aufhört. Und auf der Welt verändert sich nichts, wenn wir immer hinnehmen, was uns zugeteilt wird. Und weil ihr meine Söhne seid, müsst ihr wissen, dass das was mit euren Chancen auf dieser Welt macht.

Ich hätte noch viel zu dem Thema zu sagen, aber meinen Kindern reicht es und so höre ich auf. Worüber redet ihr, fragt Dark Vader, die endlich damit fertig geworden ist, Mittelfeldregisseur, Stürmerstar und Hardcore-Verteidiger in Personalunion zu sein.
Über Penisse, kräht Elly. Langweilig, sagt Dark Vader, sonst noch was? Wir reden, versuche ich das Thema zu einem produktiven Abschluß zu bringen, über Verantwortung. Verantwortung ist, erklärt Elly stolz, wenn man beim Hauen aufpasst, dass man niemanden im Auge trifft. Verantwortung ist, sagt Beanie, wenn ich beim gemeinsamen Schulweg aufpasse, dass kein kleiner Mensch verloren geht, selbst dann nicht, wenn sie mich zu Tode nerven. Toll, sage ich. Verantwortung ist, sagt Dark Vader und schaut auf einmal ernst, wenn ich auf alle genauso aufpasse, wie auf mich selber. Und dem ist nichts hinzuzufügen.