Eines Abends im Frühjahr bekam ich von Frau Buff ein vernichtendes Feedback. „Ich wünsche mir eine Mama“, sprach sie im Bett, „die nicht immer müde und traurig aus dem Pflegeheim kommt und nie mehr Zeit hat, um was Schönes zu machen. Früher haben wir morgens im Bett gelesen und du warst ausgeschlafen.“ „Morgens im Bett gelesen haben wir, wenn wir beide frei hatten“, erklärte ich ihr. „Und früher war ich morgens wacher, weil du gute 1,5 Stunden länger geschlafen hast.“ Das war lahm. Sie hatte recht in allen Punkten und ich wusste es. Als sie schlief, ging ich runter zu ihrem Papa und erzählte es ihm. „Autsch“, sagte er. „Ja", sagte ich.
Die beste Freundin befand, dass man dann was ändern müsse. Sie versuche, einmal am Tag glücklich zu sein, und sei es nur für fünf Minuten. Das ist eine gute Mindestanforderung, dachte ich.
Wir rödelten noch ein bisschen weiter, dann kam der Shutdown. Die Kindergärten waren zu, ich ging in Kurzarbeit und war froh darüber, dass das Land den Stecker zog. Super, dachte ich. Dann ist ja Zeit zum Putzen und zum Backen. Wir probierten Apfel-Streusel-Kuchen, Englische Kirschtorte, Waffeln mit Kirschen und Waffeln mit Schoko. Wir stellten Ostergeschenke auf die Terrassen der Familien und bastelten Karten. Es gab Radtouren mit Überraschungspicknicks, Hochbeete wurden angelegt und der Garten bepflanzt. Wir kochten Frau Buffs Lieblings-Albondigas, machten Filmnachmittage, bestellten bei den Lieblingsrestaurants und putzten das Haus. Ich trank Kaffee mit meiner Mutter und wir sprachen über was anderes als das Pflegeheim, denn da durfte keiner von uns hin.
Irgendwann reichte es mit der ganzen Brüterei. Frau Buff war übellaunig, weil der Kindergarten geschlossen hatte und sie ihr letztes Vorschuljahr verpasste. Hin wollte sie aber auch nicht mehr, weil die Jungs immer so laut seien. In die Schule würde sie überhaupt nicht gehen, das ginge auf keinen Fall. Helfen wollte sie auch nichts mehr und überhaupt. Zwei Wochen lang gab es jeden Tag Streit und ich wünschte mich heimlich an die Arbeit. Nur ich alleine mit meinem Kaffee und einem Text, den es zu schreiben galt. Mit Menschen um mich herum, die keine Unordnung und keine Wäsche produzieren.
Als es so kam und ich Frau Buff im Kindergarten ablieferte und mich selbst ordentlich angezogen im Büro, fragte ich mich, ob nun etwas besser war als vorher. Nach zwei Monaten zu Hause mit backen, kochen, picknicken, spielen. Alle auf einem Haufen und keiner war weg. Kann man ein Polster anlegen für schlechte Zeiten? Und was war mit mir? War ich glücklicher? Mir wurde klar, dass ich für mein Glück arbeiten gehen muss. Anders als Frau Buffs Papa, der mühelos als Privatier glücklich werden könnte. Und dass man auch mit Arbeit nicht immer glücklich sein kann.
Nach drei Wochen im komischen anderen Alltag wurde mir alles zu viel und Frau Buff schlitterte in eine Schulpanik inklusive Einschlafstörung. Wie früher, wenn sie als Baby nicht zur Ruhe kam, legen wir uns abends zu ihr ins Bett und blieben netflixschauend bei ihr.
Da liege ich nun und denke, Glück ist überschätzt. Normal ist das neue Glück. Aber normal ist weit weg. Deshalb halte ich es wie meine liebste Freundin und peile die fünf Minuten Tagesglück an. Das ist ein guter Anfang. Für den Rest reicht mir jetzt einfach katastrophenfrei.