Als ich Mitte dreißig war, dachte ich, zum Kinderkriegen ist noch lange Zeit. Ich bin eine von diesen Akademikerinnen, denen man nachsagt, sie seien zuviel an Karriere interessiert und zu wenig an der Mutterschaft. Nicht, dass ich es erst in den Vorstand eines börsennotierten Unternehmens schaffen wollte. Nein, nur in einem Beruf Fuß fassen, der mir wichtig war und für den neben einem Studium auch Auslandserfahrung, unbezahlte Praktika, Volontariate und befristete Verträge Voraussetzung sind. Dazu passte ein kleines Kind mit großen eigenen Bedürfnissen nicht so gut.
Natürlich kannte ich andere Entwürfe. Freundinnen haben früher Kinder bekommen und ihr Leben drumherumgebaut. Sie waren in Berufen, in denen der Einstieg leichter war oder sie haben den Kindern den Vorzug gegeben. Manche von ihnen haben gearbeitet bis zum Umfallen, um beides zu schaffen. Andere haben beruflich nie wieder Anschluss gefunden oder sich neu ausgerichtet.
Als ich Mutter wurde, war ich jünger als meine magischen 42 Jahre und fand, dass ich damit gut in der Zeit lag. Neben meinem tollen Beruf Kinder zu haben, erschien mir ausreichend – dazu musste ich nicht ganz jung sein. Denn ich war ungefähr dort, wo ich hinwollte und dachte, ich könnte nach den ersten Kleinkinderjahren wieder aufstocken und alles wäre in Butter.
Nachdem wir von der Stadt aufs Land gezogen waren, bemerkte ich, dass hier die Lebensentwürfe anders aussehen. Die Frauen haben andere Jobs, in denen die Einstiegshürden weniger hoch und brotlos sind – und sie sind deutlich jünger. Mit den Jahren auf dem Land begann ich nachzudenken über den richtigen Zeitpunkt zum Kinderkriegen. Das Dilemma bleibt – ich wüsste keinen besseren Job für mich als meinen. Aber ich spüre, wie anstrengend der Alltag mit kleinen Kindern ist und ahne, dass das mit Ende Zwanzig besser gegangen wäre.
Ich sehe, wie alt unsere Eltern sind und wie das Thema Pflege mit Riesenschritten auf uns zukommt. Wenn man früher Kinder bekommt, liegen zwischen Kindergartenjahren und Elternpflege mit Glück mindestens zehn Jahre. Wenn man spät Kinder bekommt, treffen die beiden mit Vollgas aufeinander.
Es ist keine Neuigkeit, dass man sich irgendwann um seine Eltern kümmern muss. Doch Menschen mit kleinen Kindern sind in einer verletzlichen Lage. Sie sind zeitknapp. Sie sind geldknapp – denn meist arbeitet eine(r) von beiden Teilzeit. Deshalb können sie sich kaum Hilfe hinzukaufen. Pflege wird in Deutschland nur bezuschusst, nicht kostendeckend gerechnet. Wenn sie in eine Zeit fällt, in denen kleine Kinder zu versorgen sind, bringt das Familien oft an den Rand des Schaffbaren.
Das ist die Stelle, an der ich endgültig merkte, wie schlecht meine Theorie war. Ich habe sie nicht fertig gedacht. Idealerweise klotzt man in seinen Vierzigern noch einmal richtig ran, um auf dem Arbeitsmarkt langfristig eine Chance zu haben und damit der eigene Rentenbescheid keine Schnappatmung verursacht. Denn das Thema klopft auch schon leise an. Wenn in diese Zeit noch Kinderaufziehen und die Pflege der Eltern fallen, knarzt das Modell an allen Ecken und Enden.
Ich glaube nicht mehr, dass es eine gute Idee ist, erst mit 42 Kinder zu bekommen. Nicht mal mit Ende dreißig. Mittlerweile würde ich jeder, die es anders machen kann, ohne ihren beruflichen Traum aufzugeben, etwas anderes raten. Aber wenn ich wieder mal mit einem jungen Büchermädchen rede, das von einem tollen Kulturjob träumt, weiß ich nicht, was ich ihm raten soll. Wann ist ein guter Zeitpunkt im Leben eines Menschen, um eine längere Auszeit im Job zu machen und danach in Teilzeit weiterzuarbeiten - in einem Umfeld, das auf Vollzeitkarrieren ausgerichtet ist?
Ich sehe, wie gut das Teilzeitangebot im Kulturbereich ist (kaum vorhanden), und die Teilzeitmöglichkeiten für Männer, um sich die Kinder- und Elternbetreuung zu teilen. Als Mutter merke ich, dass nicht jedes Kind eine Ganztagsbetreuung verträgt. Die Debatte auf dem Rücken der Kinder auszutragen und als einzige Antwort darauf nach einer flächendeckenden Ganztagsbetreuung zu schreien, finde ich schwierig. Die einzige Antwort auf die all diese Fragen wäre eine extreme Flexibilisierung des Arbeitsmarkts – für Männer und Frauen. Nur wenn beide flexibel hoch- und runtergehen können mit ihren Stunden und ihre Arbeitszeiten nicht so starr sind, wird es möglich, zu fast jedem Zeitpunkt Kinder zu bekommen. Weil dann klar ist: Man schafft es gemeinsam und nicht, indem eine(r) mal ganz draußen ist und danach kaum mehr Anschluss findet. Es gibt durchaus Männer, die ihre Kinder gern öfter sehen würden und sich Schlimmeres vorstellen können als am Nachmittag auf dem Spielplatz zu sitzen. Aber von so einem Arbeitsmarkt sind wir weit, weit entfernt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sich unsere Gesellschaft so tiefgreifend ändern kann. Auch die Männer müssen für ihre Sache kämpfen, soviel ist klar, denn auch ihnen schenkt keiner Teilzeitstellen.
Mein Rat bis dahin an alle Büchermädchen? Bekommt eure Kinder im Studium, wenn ihr den richtigen Mann dazu habt. Denn dann sind sie, wenn ihr die Dreißig knackt, schon aus dem Gröbsten raus.