"Und? Hast Du Angst?" Ich kann nicht zählen, wieviele Leute einen das fragen, wenn klar ist, dass es bis zur Geburt des nächsten Kindes nicht mehr so lange dauert.
Ich erzähle davon, als ich das nächste Mal bei meiner Hebamme im Wintergarten sitze und auf die rot-gelb-braunen Wälder direkt vor ihrem Haus schaue. Das nächste Mal werden wir uns bei mir daheim sehen und eine von uns beiden wird dann ziemlich sicher ziemlich laut schreien. Kleiner Tip: Sie wird das eher nicht sein.
Ich erzähle ihr, dass mich die Frage stört und sie will wissen, warum das so ist. Ich bin kein furchtloser Mensch, finde es aber auch nicht schwer, das einzugestehen. Es ist eher so, dass ich mich mal wieder frage, was mit den Menschen aus westlichen Industrienationen eigentlich so los ist. Ich habe Angst vor dem Tod meines Kindes, vor meinem eigenen sowieso und irgendwie auch um meine körperliche Unversehrtheit. Ich halte das für globale Phänomene, wenn es um Geburten geht. Aber ich kann mir auch nicht helfen, es fürchterlich zu finden, dass ich auf den Zeitpunkt der Geburt keinen Einfluss habe. Diese Kinder kommen dann eben einfach. Und ich habe Angst vor Schmerzen. Schisser, eben. Und zu welchem kleinen Licht man wird, angesichts wirklicher Schmerzen. Nichts mehr mit heldenhaftem Hüftgewackel zur besseren Passage des Beckeneingangs. Ich habe schon Menschen unter der Geburt dazu aufgefodert, mich auf der Stelle zu erschießen. Und mir war es ernst dabei. Da wird geheult, gekotzt, gekackt und man macht Geräusche, von denen man nicht will, dass sie was mit einem selbst zu tun haben. Vor all dem habe ich Angst. Vor dieser urtümlichen Wucht. Davor, dass man bei Geburten in einen Tunnel einfährt, in dem es sehr einsam ist und bei dem man nicht weiß, was am anderen Ende kommt. All das sage ich meiner Hebamme, die ihr typisches Hebammen-Gesicht macht - also eine Mischung aus aktivem Zuhören und unergründlicher Weisheit. Ich wünschte wirklich, ich wäre eine dieser Hausgeburts-Frauen, die fest an die Heilkraft von Steinen glauben, an Schmerzlinderung durch Pressur, an die Stärke der Mutter und die Natürlichkeit von unbeeinflußten Geburtserlebnissen. Bin ich aber nicht. Ich bin eine Zweiflerin, ein Angsthase. Ich glaube nicht daran, dass Natur an sich etwas Gutes sein muss. Natur ist brutal und selektiv und in weiten Strecken unbeeinflussbar. Natur ist. Der Rest ist menschliche Interpretation. Aber ich glaube fest an Mut und an Kühnheit - und Mut ist dabei nicht die Abwesenheit von Angst. Ich glaube, dass man seine Füße fest auf den Boden stellen muss und Angst haben darf. Aber dann trotzdem tun sollte, was man selber für richtig hält. Und nicht das, wovor man sich am wenigsten fürchtet.
Meine Hebamme erzählt von den Frauen, die sie manchmal in Flüchtlingsheimen betreut. Die ihre Kinder auf Schiffen und in dunklen, dreckigen Ecken zur Welt bringen. Geburtensets, sterile Umgebungen und halbstündige vaginale Routineuntersuchungen gäbe es eher nicht. Ich weiß das alles. Aber es hilft mir nichts. Die Lebensumstände anderer haben meine eigenen noch nie relativieren können. Wäre ja schön, wenn's so einfach wäre.
Dann solle ich doch einfach Angst haben, schlägt meine Hebamme vor. Wäre ja nicht das Schlimmste. Da hat sie recht, finde ich. Also ist hier meine universale Antwort für alle Menschen, die jetzt gerne noch auf die Schnelle wissen möchten, wie man sich so kurz vor der Geburt fühlt. Gerne ausdrucken und verteilen: Ja, ich habe Angst. Sehr sogar. Ich will nicht sterben, will mein Kind nicht verlieren, will nicht für den Rest meines Lebens beim Niesen in die Hose pinkeln. Ich habe Angst vor der Körperruine, zu der man nach so einer Geburt wird und von der man nicht weiß, was wieder verschwindet und was eben nicht. Aber ich strecke diesen Ängsten genauso die Hand hin, wie meinem ungeborenen Kind. Ich versuche es zumindest.