Das mit den Verwandten im Ausland ist ja toll. Denn: Dann kann man Kinder auch einfach mal abschieben, wird nicht arm dabei und muß auch kein schlechtes Gewissen haben. Es ist ja immerhin die bucklige Verwandtschaft. Das funktioniert genau solange theoretisch super, bis wir unserem Ältesten den Vorschlag unterbreiten, er könne doch mal in den Urlaub nach Irland fahren. Allein. Nö, sagt er, das wolle er zufällig derzeit nicht. Und damit ist das Thema erledigt. Man merke sich: Von Eltern vorgeschlagene Freiheiten sind sehr viel weniger attraktiv als einfach im Supermarkt abzuhauen und dann mit nacktem Hintern in der Blumenabteilung aufgegriffen zu werden (das ist allerdings eine andere Geschichte). Beanie in jedem Fall will nicht. Dann allerdings kommt Hilfe von einer Seite, von der sie normalerweise nie kommt. Ungefähr so, als übernehme Erdogan den ehrenamtlichen Vorsitz des Liederbacher Frauenvereins. Dark Vader schaltet sich nämlich ein und erklärt, dann würde sie einfach fahren. Sie wolle nämlich, würde auch allein fliegen und so ganz ohne Papa, Mama und eklige Geschwister im Urlaub zu sein, sei super. Und damit geraten die Ereignisse ins Rollen. Beanie nämlich seufzt, rollt die Augen und erklärt, dass er unter diesen Umständen dann eben auch mitginge. Man könne ja so kleine Kinder nicht ganz allein reisen lassen. Das allerdings hat Dark Vader schon nicht mehr gehört, die ist nämlich zum Packen aufgebrochen.
Die Wochen vergehen, Pläne modifizieren sich und so erscheint eines Tages der coole Onkel aus Irland, um die halbierte Rasselbande abzuholen. Es folgen hektische Tage des Sortierens und Packens, Beanie hat auf einmal nur noch drei Unterhosen und keiner weiß, wo die anderen Exemplare geblieben sind. Dark Vader möchte ausschließlich entweder im Feenkostüm oder aber im Schlafanzug verreisen, auf keinen Fall aber Socken oder Hosen mitnehmen. Und Beanie hat keinen Rucksack, der seine gesammelten Besitztümer zu fassen vermag. Also gehen wir im schlimmsten Packtrubel nochmal einkaufen: Unterhosen, Urlaubsbücher und einen Rucksack. Der, sagt Beanie, müsse es werden und deutet unmißverständlich. Ich gebe mein Bestes, einen entspannten Gesichtsausdruck beizubehalten und sage beiläufig Ach, deeeeer? Hmööööhhhhhhh. Der da drüben ist doch aber auch sehr schön.
Nein, sagt Beanie. Der! Den hat die Oma auch. Was ja ein modisches Argument ist, wenn man ehrlich ist. Der! ist ein knallpinker sauteurer Rucksack dieser skandinavischen Trendmarke. Nicht waschmaschinenfest, total überteuert, wahrscheinlich orthopädisch sehr bedenklich .. ein wahrer Elterntraum also. Wir kaufen ihn und machen Beanie damit stolz, der sich den Rucksack gleich mal aufsetzt.
Am Tag darauf wandern die Klamotten meiner Kinder in den Koffer und mir wird das Herz schwer. Ich rieche an T-Shirts, Ringelsocken und behalte alle Stücke eben genau diese zwei Sekunden länger in der Hand als nötig. Zum Schluß packen wir gemeinsam die Rucksäcke. Bei Dark Vader ist Hasi schon eingezogen und hat sein Abenteurergesicht aufgesetzt. Ihr Rucksack ist damit voll. Bei Beanie geht der übellaunige Koala mit, Beanie's unverwüstlicher Begleiter mit den kahlen Stellen hinter den großen Ohren, dazu noch neue Urlaubsbücher, ein kleines Legoset für den Flug, Stifte, ein Bastelbuch für Dark Vader, Taschentücher und Reiseproviant. Wir stellen die Rucksäcke abends raus, zusammen mit den Schuhen und den Reiseklamotten für den nächsten Tag.
Ich stelle mich darauf ein, dass die Kinder aufgeregt sind, überdreht, ängstlich. Ich frage, ob es noch Dinge gibt, die wir mit dem irischen Onkel und seiner amerikanischen Frau besprechen müssten. Die Kinder verneinen. Sie sind ruhig und entspannt. Wenn da nicht im Flur die aufgereiten Rucksäcke stehen würden, man würde einen ganz normalen Tag vermuten.
Dann kommt der Abreisetag und wie immer an solchen Tagen kommt Beanie vor dem Wecker ins Bad. Er weckt Dark Vader selber und gemeinsam ziehen sie sich an. Frühstücken mag jetzt keiner. Die beiden Kinder ziehen sich zurück und wir alle halten die Luft an. Mit irischer Gelassenheit steht der Transporteur-Onkel (das ist ein anderer Onkel als der, der hier besucht werden soll) zehn Minuten vor Abmarsch auf und zieht sich an. Die Kinder setzen die Rucksäcke auf - jetzt geht es los. Elly schläft noch und realisiert gar nicht, dass gleich seine Geschwister für über zwei Wochen weggehen werden. Mir wird das Herz schwer. Ich verabschiede den großen, dünnen Linus, der sich im Arm so klein und knochig anfühlt. Dark Vader drückt sich mit festem Rückgrat an mich, das aber nur kurz. Der Blick ist schon fest in die Ferne gerichtet. Ich habe mich tagelang auf Kindertränen eingestellt, auf Mama, ich will nicht und auf Nein, Mamaaaaa, schick mich nicht weg. Ich hatte mich konstituiert, gelassen und ruhig zu erzählen, dass man da so viel Spaß haben werde. Und man sich ja ganz bald wiedersehen werden. Man denkt ja immer, dass das Leben der eigenen Kinder außerhalb der elterlichen Arme aufhört. Das ist aber nicht so. Meine Kinder setzen ihre Mützen auf. Und gehen los.
Ich laufe schnell zum Balkon und warte auf die kleine Karawane, die zu zwei Vierteln aus dem Wertvollsten besteht, was ich auf dieser Welt kenne. Da kommen sie. Vorneweg der Onkel mit dem Koffer und neben ihm ein knallpinker Rucksack getragen von zwei sehr knöchrigen Beinen. Über dem Rucksack schwebt ein großer Kopf, an dem zwei Segelohren eine Schirmmütze tragen. Daneben hoppeln zwei sehr stabile Beinchen in Shorts und über die Schulter schaut mich Hasi an und winkt mit seinen Hängeohren. Die Karavane geht auf die Kurve zu und ich überlege mir, ob es angemessen wäre, wenn ich hinterherrenne, dem Onkel meine Kinder entreiße, mich auf den Boden werfe und heule, dass sie nicht weggehen sollen. Nicht so, nicht so ohne Tränen, nicht in die große weite Welt und schon auf gar keinen Fall und unter keinen Umständen ohne mich. Dann biegen sie um die Ecke und ich kann sie nicht mehr sehen.