Meine Tochter ist in diesem Sommer in den Kindergarten gekommen. Vorher hatte sie ein Jahr lang Pre-School an der Internationalen Schule Zürich. Glaubt man meinem vierjährigen Kind, dann war die Internationale Schule das Paradies und meine Tochter dort das Zentrum des Universums. Das hatte vor allem zwei Gründe: den Garten (meine Tochter ist die gekrönte Königin des beeindruckenden Stock-Gefuchtels) und ihren ersten, besten, eigenen Freund. Mit den Eltern des Jungen hatten wir schnell eine Fahrgemeinschaft, die ehrlich gesagt deutlich mehr zu unseren Gunsten verteilt war. Resultat: Meine Tochter und der kleine Junge hatten jeden Tag der Woche exklusive 15 Minuten miteinander, in denen sie einträchtig Fernsehen schauen (die Eltern des Jungen hatten ein "richtig tolles Auto" mit "Kino"), sich gepflegt streiten oder auch mal einen Kuss zum Abschied auf die Nase geben konnten. Es war das ganz große Glück und hätte ewig so weitergehen können, wären wir als Eltern nicht im ewigen Optimierungswahn der Meinung gewesen, den Kindergarten solle unser Kind doch bitte am Ort verbringen. Und den Schulweg alleine und ohne "richtig tolles Auto" bewältigen können. Die gekrönte Königin des Stock-Gefuchtels fand das auch nicht ganz blöd, denn, wenn man sich als Dreh- und Angelpunkt des Universums sieht, dann ist niemand so wirklich weit weg, man selbst bei allem dabei und selbstredend unvergessen.
Es kamen die Sommerferien, der Schulanfang, neue Klassen, Kinder, Routine und irgendwann der Kindergeburtstag des kleinen Jungen. Motto: Star Wars. Meine Tochter war schon Wochen vorher aufgeregt und wollte selbstredend ausschließlich verkleidet zur Party gehen: Als "Dark Vader". Wer will schon Darth Vader sein, wenn man auch Dark Vader heißen kann? Genau, keiner! Macht auch nichts, wenn sonst keiner verkleidet ist, Mama!!!! Ich bin ja Dark Vader! Kann ich auch ein Laserschwert haben?
Der große Bruder, Dark Vader und die Mutter haben sich dann auf den Weg zur Party in einem Indoorspielplatz gemacht. Wie das bei Internationalen Schulen so ist, war die ganze Klasse eingeladen - mit großen reservierten Tischen und Geburtstagsthron und viel Gerenne. Dark Vader hat seinen Freund dann nicht gleich gefunden, der große Bruder war schon auf der Rutsche und von den anderen Kindern kannte sie keinen. Da hat sie geschluckt und sich vielleicht einen Stock zum Fuchteln gewünscht, denn Laserschwert hat es dann doch keins gegeben und auf einmal war das mitgebrachte Geburtstagsgeschenk so groß - oder die Hände zu klein. Vielleicht war auch da schon das Herz ein bißchen schwer, wer kann das schon wissen.
Dark Vader hat in jedem Fall seine Maske aufgesetzt, das Cape zurechtgezogen und die Rutsche gestürmt. Aber wie das manchmal im Leben so ist - und blöderweise spüren Mütter das immer schon ziemlich früh - war nichts so, wie es sein sollte. Dark Vader hat dann den Freund noch gefunden, aber der war mitten in einer Gruppenumarmung von lauter kleinen Kindern, die sie nicht kannte. Das macht einem eigentlich nichts aus, wenn man vom Todesstern kommt - aber die Gruppenumarmung hat sich nicht geöffnet. Und Dark Vader hat ein bißchen am Umhang gezuppelt und nebendran gestanden. Dann hat die Mama sie aus den Augen verloren und erst eine halbe Stunde später auf dem Trampolin wiedergesehen. Da war sie ganz allein. Es gab Pizza und Dark Vader hatte keinen Hunger. Das kann passieren, Mama, oder? Klar, sagt die Mama und spürt zum ersten Mal dieses Brennen hinter den Augäpfeln, das Mütter immer kriegen, wenn sie gerne die Welt mal eben anders drehen wollen und nicht können. Noch mehr Rumgerenne. Alle spielen und toben. Großer Bruder, hast du Dark Vader gesehen? Nee, hatte er nicht. Ob er mal schauen solle? Nein, schon gut. Ein Ausrufer ruft die Kinder zur Torte. Die ist professionell gemacht worden, hat einen Marzipan-Yoda drauf und ist blau mit Sternen. Das wird Dark Vader sehr gefallen, denkt die Mama. Aber Dark Vader ist nicht da. Sie kommt erst um die Ecke, als alle anderen schon sitzen. Das Cape sitzt schief und die Füßlinge sind verknuddelt. Sie zieht an Mama's Hosenbein. Ob sie Kuchen wolle? Mit Yoda! Nein, will sie nicht. Großer Bruder rutscht zur Seite und ruft nach ihr. Sie setzt sich dann doch, kriegt ein Stück Kuchen. Aber alle Kinder sind schon fast fertig. Bei Kindergeburtstagen muss es ja immer Kuchen geben und dann isst ihn keiner und man schmeißt das meiste wieder zusammen mit den Papptellern weg. Die Kinder stehen auf und rennen los. Zurück bleibt allein Dark Vader und popelt am Kuchen. Sie nimmt ein Stück in den Mund, das Stück wird im Mund immer größer und rutscht einfach nicht runter. Mama setzt sich dazu. Drei Tränen hat sie sich mittlerweile schon weggewischt. Mama will keine Mama mehr sein. Will sich Dark Vader und den großen Bruder unter den Arm klemmen und ein Raumschiff besteigen. Düsenantrieb an und weg. Irgendwohin, wo das Leben nicht so einfach weitergeht und der eigene Fußabdruck für immer bleibt. Mama würde gerne laut schreien, den blöden Yoda an die Wand klatschen, irgendwas kaputt machen. Da kommt die Pinata gerade recht. Alle sollen sich auf der Tanzfläche versammeln. Dark Vader will nicht hingehen. Sie tritt immer auf das Cape und will es nicht mehr, die Maske hat sie irgendwo liegenlassen. Mama nimmt ihre Hand. Die ist so klein in ihrer großen Mama-Hand. Die Hand fühlt sich gar nicht an, als hätte sie es hier mit der gekrönten Königin des Stock-Gefuchtels zu tun. Sie fühlt sich einfach klein und schrecklich traurig an. Mama und Dark Vader gehen Hand in Hand zur Pinata. Die anderen Kinder haben sie schon fast zerlegt. Es regnet Lollies und Gummibärchen und alle kreischen. Mama setzt sich Dark Vader auf die Hüfte. Dahin, wo sie schon so oft gesessen hat, wenn das Knie kaputt, Hasi verschwunden oder die Welt einfach sehr groß war. Dark Vader legt ihr den Kopf auf die Schulter und schaut irgendwohin. Wohin, das kann Mama nicht sehen. Wie gut, dass es den großen Bruder gibt. Der hat nämlich entgegen seinem sonstigen Temperament alle Mit-Drängler aus dem Weg geschubst und Gummibärchen eingesammelt. Er kommt dazu. Warum Dark Vader nicht mitmachen wollte, fragt er. Die antwortet nicht. Da hält er wortlos die schwitzigen Hände auf und lässt es Gummibärchen regnen.