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Kleine Abschiede

Von Irina

Jeder weiß ja, dass Kinder sich irgendwann verabschieden, um ihr eigenes Leben zu leben. Und dass es nicht gut ist, wenn sie den Absprung nicht schaffen. Aber kennt ihr das Gefühl, sie vorher schon Stück für Stück zu verlieren, weil sie größer werden? Nicht, weil sie in den Kindergarten gehen oder eigene Meinungen haben. Sondern, weil sie sich ständig neu erfinden und damit auch kleine Versionen ihrer selbst verloren gehen. Als würden sie sich häuten. Irgendwann findest du wieder so eine Haut in ihrem Zimmer - und wenig später triffst du auf eine neue Version deines Kindes. Die alte hast du vielleicht aber gemocht und hättest sie gerne noch ein bisschen länger behalten. Vielleicht ist das egoistisch oder kleinkariert, ich weiß es nicht. Mich jedenfalls macht es traurig, weil mir dann auffällt, dass ich nichts festhalten kann. Das Leben mit Kindern ist intensiv und gleichzeitig flüchtig. Und es liegt weniger in meiner Macht, als ich täglich so glaube. Die Zeit, die wir mit unseren Kindern haben, ist wahnsinnig kurz. Und irgendwann ist sie um und wir sind gar nicht darauf vorbereitet.

Ich erwische mich zum Beispiel dabei, wie ich traurig werde, wenn mir kleine Schuhe in die Hände fallen. Dann denke ich daran, dass sie die kleinen Menschen, die sie waren, als sie sie getragen haben, nie wieder sein werden. Sie können jetzt laufen und das ist gut. Doch gleichzeitig macht es mich wehmütig. Mir fällt die Babyzeit ein, in der ich manchmal stundenlang ein schreiendes Baby herumgetragen habe und mir bewusst wurde, dass ich nichts im Leben gelernt habe, was mir jetzt helfen könnte. Das wünsche ich mir nicht so dringend zurück. Aber in die Zeit fallen auch die langen Winternächte, die ich neben meinem schlafenden Kind verbracht habe, und in denen ich keinen anderen Ort wusste, an dem ich lieber sein wollte. Diese Phasen gehen vorüber, meistens schleichend, und das hat auch was Entlastendes. Du machst wieder mehr mit deiner Zeit und lebst so vor dich hin. Und dann plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, mögen sie dein Essen nicht mehr, wollen bestimmte Sachen nicht mehr mitmachen und steigen einfach aus. Und du ertappst dich bei dem Gedanken, dass sie bald ausziehen – obwohl sie noch in den Kindergarten gehen.

Was macht dich denn dabei so traurig, fragt ihr jetzt vielleicht? Ist doch klar, dass Kinder dauernd was nicht mehr mögen und später wieder neu entdecken. Ja, kann sein. Aber es ist halt mehr als das. Wieder gab es eine Häutung und dann verabschiedest du dich von der Version deines Kindes, die gerne mit dir zu Abend aß, dein Essen mochte und dich immer so fest gedrückt hat. Kinder nehmen dich ganz ein - und dann brechen sie dich. So ist das. In so Momenten komme ich nicht umhin, mir zu sagen, dass das nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Pubertät ist, wo sie noch viel mehr an mir nicht mögen werden als meine Nudeln. Und dann denke ich: genieß’ die Zeit. Sie mag dir jetzt ewig vorkommen, du magst dich manchmal unflexibel finden oder dich ärgern, dass sich jeden Tag von neuem eine Spur der Verwüstung durch die Wohnung zieht. Aber sie ist nicht ewig. Nur noch ein paar Jahre und sie sind so gut wie aus dem Haus. Dann wirst du den Satz hören: Get a life, Mama.

Daran will ich denken, wenn ich mich das nächste Mal über nicht abgespültes Pipi, in den Flur geschmissene Jacken oder einen zerschossenen Abend ärgere. Dann lasse ich diese durchoptimierte Effizienzscheiße sein, die man als Erwachsener so lernt, und lege mich neben mein schlafendes Kind, das viel ruhiger ist, nur weil ich da bin. Und schaue in die Dunkelheit und denke drüber nach, ob mir auch nur ein Ort einfällt, an dem ich lieber sein würde als hier.