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Brief an meine Töchter

von Edda

Liebe Dark Vader, liebe Mimimi, liebes Baby, liebe Honor, liebe Elisabeth,

fünf Töchter zu haben ist unvorstellbar schön. Ihr seid mein ganz großes Glück, jede von Euch und jede von Euch auf ihre ganz eigene Weise. Euren Brief kann ich nicht anders anfangen als so, denn ich bin eine andere Mama für Euch als für Eure Brüder: strenger, fordernder und mit Sicherheit auch oft härter. Das ist nicht fair und es tut mir leid. Dabei seid ihr wunderbar, wunderbar eigen, wunderbar anstrengend. Das Auf und Ab Eurer Stimmen um mich ist meine Meeresbrandung, der ich mein ganzes Leben zuhören könnte. Insbesondere die Stimme von Dark Vader, die neben rauschen auch locker den ein oder anderen Baum umsägen könnte. Es ist doch alles gut, wieso zur Hölle bin ich also dauernd an Euch dran. Vielleicht liegt es an den Brandnarben auf schwangeren Bäuchen, die ich nicht selten sehe. An den blauen Flecken, die unter langen Ärmeln verschwinden. An verstümmelten Genitalien. Daran, dass ich sehe, wie Frauen manchmal mit ungelenker Hand versuchen, Formulare auszufüllen und mir erklären, dass Lesen und Schreiben nicht ihr Ding sei. Ich soll verdammt sein, wenn ihr eine davon werdet. Als ich Mimimi neulich von ihrer Tagesmutter abgeholt habe und gerade noch Zeuge eines fundamentalen Wutausbruches werden durfte (wahrscheinlich wurde das Toastbrot mal wieder gegen die Faserrichtung geschnitten), muss ich total entnervt geschnaubt haben. Jedenfalls hat mich Mimimi's komatös gelassene Tagesmama ruhig angelächelt und in aller Seelenruhe erklärt: "Mimimi has a very strong sense of self." No shit, also ehrlich, da wäre ich nie draufgekommen. Erst hinterher ist mir aufgefallen, dass es genau das ist, was ich für Euch will. ((Also nicht jetzt, solange ich noch mit Euch zusammenleben muss. Ja? Bitte erst, wenn ihr hoffentlich bald ausgezogen seid.)) Modern ist nicht, wer jeden Tag in irgendeinen high fly job pilgert und rückschrittlich ist nicht, wer einfach mal aus irgendeinem Grund nicht arbeitet. Man ist nicht ehrgeizig, weil man Vollzeit arbeitet und demnach in Teilzeit weniger wert. Ihr sollt überhaupt nichts von dem sein, was andere Leute irgendwann von Euch denken oder wollen. Denn andere Leute - und ich werde mich da noch sehr oft wiederholen - andere Leute interessieren nicht. Ich weiß, dass der Weg ins Erwachsensein zum Teil über Konformität passiert und es schreckt mich zwar, macht aber auf Lebenssicht gesehen nichts. Denn irgendwann hört man die eigene Stimme wieder. Wieso darf ich keine Barbie, fragt mich Dark Vader. Alle haben eine. Erzähl Mama lieber nichts von "Alle haben", mischt sich sehr abgeklärt der große Bruder ein, denn sonst dauert es so lange, bis sie wieder mit Reden fertig ist. Sei froh, dass ihr keine Barbie dürft, versuche ich heute mal eine andere Strategie, dann werdet ihr später nicht enttäuscht, wenn euer Busen mal nähere Bekanntschaft mit dem Bauchnabel macht, anstatt wagerecht vom Körper abzustehen. Leider kann ich mich verbal nicht weiter ausbreiten, denn um die Ecke kommt Attila der Hunnenkönig gestöckelt, heute in pinken Plastikstöckelschuhen mit Disney-Prinzessinnen drauf. Oh, Mimimi, tschilpt Dark Vader, wie hübsch du bist! Tritt mit diesen Dingern nicht auf das Baby, empfehle ich, das gibt sonst ein Loch im Kopf. Das Nachbarsmädchen hat Mimimi mit großer Geste ihre Plastikstöckler vererbt. Toll, habe ich gesagt, lass sie doch hier, dann kann Mimimi hier damit spielen und freut sich dann immer ganz doll drauf. Nee, sagt das Nachbarsmädchen aufopferungsvoll, Mimimi hat sie doch so gerne. Danke, würge ich und transportiere ein begeistertes Kind und Plastikschuhe nach Hause. Abends wundere ich mich, wieso der Schlafsack so komisch beult, bis ich feststelle, dass sich Mimimi ihre Plastikstöckler alle in den Fußraum gestopft hat. Wahrscheinlich musste das arme Kind befürchten, die fiese Mama würde sie nachts heimlich entsorgen. Und behauptet dann am nächsten Tag, Raumi, unser Staubsauger, sei es gewesen. Heute morgen habe ich Euch beobachtet, kurz bevor wir zum Fußball gefahren sind: Dark Vader hat vorgelesen, Mimimi hat Duplo gebaut und das Baby hat vor lauter Glück die kleinen Arme und Beine in die Luft geworfen, weil endlich auch mal jemand anderes auf dem Boden unterwegs war. Diesen Moment möchte ich behalten, mir in die Hosentasche stecken und nie mehr verlieren. Er fühlt sich so an wie die wunderbaren Steine, die Dark Vader immer am Strand findet und sonst keiner - Steine, die ganz glatt und rund sind und genau in meine Hand passen. Schaut mal, habe ich Honor und Elisabeth erzählt, so viele Schwestern, hätte ja auch keiner gedacht. Im Garten fliegen die wilden Papageien auf und ich stelle mir vor, dass an irgendeinem wunderbaren Ort meine beiden ältesten Töchter unter ihnen sind. Mädchen, denke ich, meine Mädchen. Egal, was ich Euch immer sage, es macht nichts, dass man nicht immer mutig und kühn sein kann. Weint, schreit, habt Angst, widersprecht - es geht mir eigentlich immer nur darum, dass ihr Euch Gehör verschafft. Und ich denke daran, dass meine Mama mir immer gesagt hat, dass sie jeden erschlagen würde, der mir was tut. Wer die Superoma mal dabei beobachtet hat, wie sie mit bloßer Hand australische Kakerlaken erlegt (die ja bekanntlich echt groß sind), der weiß Bescheid. Wer von euch Kindern was will, muss für den Moment an mir vorbei. Was heißt für den Moment - solange ich lebe. Bleibt euch als Schwestern verbunden, das würde ich mir wünschen. Lasst euren Brüdern doch bitte auch mal eine Chance, auch das wäre nicht ganz verkehrt. Habt einen liebevollen Blick auf andere Frauen, nicht, weil ich an die globale Schwesternschaft glaube, sondern, weil ich es unerträglich finde, dass sich Frauen gegenseitig gerne mal ausgrätschen. Wisst, dass ich auf Eurer Seite stehe. Immer und bei allem. A strong sense of self, denke ich, nicht mehr - aber auch nicht weniger, bitte.
Eure Mama